30.08.2021
Tagesanzeiger

Wie der Schienenverkehr klimaneutral werden kann

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Die Firma Stadler hat einen Zug gebaut, der mit Batterie fahren kann, aber auch per Oberleitung. Diese Hybridtechnologie könnte die Dieselzüge auf Europas Schienen ersetzen.

Wie ein Fall für das Guinessbuch der Rekorde sieht der blau glänzende Rohbau in der Berliner Werkshalle des Zugbauers Stadler nicht aus - eher wie ein normaler Regionalzug, dem noch Räder und Fenster fehlen. Nach der Montage aber will Stadler seine Neuentwicklung von den Rekordwächtern begutachten lassen: Als Akku-Hybrid-Zug mit der bisher grössten Reichweite. Bis zu 185 Kilometer im reinen Batteriebetrieb soll der «Flirt Akku» (Flinker leichter Intercity- und Regional-Triebzug) bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h schaffen - und langfristig die Dieselzüge auf Europas Schienen ersetzen.

Bei Stadler entschied man sich schon 2015, keine reinen Dieselzüge mehr zu produzieren. Das Problem: Viele Züge in Europa fahren immer noch mit dem fossilen Brennstoff, denn längst nicht das gesamte Schienennetz ist mit Oberleitungen elektrifiziert. Und der Ausbau läuft schleppend.

Kombi aus Oberleitung und Batterie

Um den Schienenverkehr möglichst schnell emissionsfrei zu bekommen, setzen Bahnunternehmen daher zunehmend auf flexiblere Alternativen wie Akku-Hybrid-Züge. Sie können sowohl mit Oberleitungen als auch mit Batterien betrieben werden. Nicht nur Stadler, sondern auch die Konkurrenz von Siemens, Alstom und Bombardier hat vergleichbare Modelle im Angebot. Steffen Obst, Vertriebsleiter von Stadler Deutschland, erklärt daher: «Wir wollten ausreizen, wie viel Reichweite mit dem heutigen Stand der Technik zu schaffen ist.»

Dafür habe man unter anderem mit der TU Berlin kooperiert, um die für den Regionalverkehr bestgeeignete Batterietechnik zu finden. Obst sagt dazu: «Die meisten Batterien werden heute für Autos produziert, sind also für eine Lebensdauer von sieben bis acht Jahren und eine Beanspruchung von maximal 100 000 Kilometern pro Jahr ausgelegt. Ein Zug fährt zwei- bis dreimal so viel und das über mindestens 30 Jahre.»

Zehnfache Kapazität eines typischen Elektroautos

So sei es dem Entwicklungsteam gelungen, mit vier Lithium-Ionen-Batteriepacks an Ober- und Unterseite des etablierten Zugmodells «Flirt» die zehnfache Kapazität eines typischen Elektroautos zu erreichen. Unter Testbedingungen gelang damit die mögliche Rekordreichweite; im Regelbetrieb soll eine Mindestreichweite von 80 Kilometern angelegt werden. Eine Vollladung unter Fahrdraht soll 20 Minuten dauern, an Stromtankstellen bis zu einer Stunde.

Nach Einschätzung von Experten muss es aber trotz der neuen Entwicklung Ziel sein, möglichst schnell das gesamte Schienennetz zu elektrifizieren. Das ist nicht nur energieeffizienter, sondern auch wirtschaftlicher. Zudem könnten dann auch Lokomotiven mit grosser Zugkraft, beispielsweise von langen Güterzügen, rein elektrisch fahren. Die heutige Batterietechnik reicht dafür noch nicht aus.

Stadler-Manager Obst glaubt dennoch an die langfristigen Marktchancen seiner Entwicklung: «Es wird immer Strecken geben, wo sich der Bau einer Oberleitung nicht rechnet. Da ist ein Akku-Zug mit seiner Flexibilität besser geeignet.»


Welche Fahrzeuge eingesetzt werden ist noch nicht entschieden. Ein Kandidat ist der Zug von Stadler-Rail.

Beschluss der Verbandsversammlung des ZSPNV Süd am 18.12.2019:
"Grünes Licht für Akku-Hybrid", Rheinpfalz 19.12.2019
Protokoll der Versammlung (TOP 6, Seiten 2-4) "Züge in der Südpfalz sollen bald elektrisch fahren", Rheinpfalz 18.08.2021