31.05.2024 - Die Rheinpfalz 2024 -

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Auftakt zum Bahn-Neustart

Ein Deutschland-Takt nach Schweizer Vorbild ist heute verkehrspolitisches Ziel der Bundesregierung. Hierfür leistete Rheinland-Pfalz beim Fahrplanwechsel vor 30 Jahren bundesweit beachtete Pionierarbeit. Das gilt auch für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken.
Von Eckhard Buddruss

Der Fahrplanwechsel Ende Mai 1994 war der erste unter der Regie der neu gegründeten Deutschen Bahn (DB) AG. Bei der DB hatten die Anhänger eines integralen Taktfahrplans nach Schweizer Vorbild, der eine Abkehr von der jahrzehntelangen Rückzugspolitik bedeutete, mit der Entmachtung ihrer Top-Figur Rudolf Göbertshahn Ende 1993 eine bittere Niederlage erlitten. Sie waren nun dringend auf Verbündete in den Bundesländern angewiesen und fanden sie zunächst vor allem in Rheinland-Pfalz. Hier hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) eine glückliche Hand bewiesen, als er Karl-Geert Kuchenbecker zum Leiter der Verkehrsabteilung machte. Mit einer für einen Ministerialbeamten ungewöhnlichen Dynamik trieb Kuchenbecker das Projekt integraler Taktfahrplan voran. Kommunale Partner fand er vor allem im Landkreis Bad Dürkheim und bei dessen Landrat Georg Kalbfuß (SPD).

Ein eingespieltes Team waren bereits Landrat Kalbfuß und der Neustadter Bahnexperte Werner Schreiner. Schreiner, von Beruf eigentlich Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, machte sein zunächst ehrenamtliches Engagement für den Schienenverkehr in Etappen zum Hauptberuf. Schreiner wurde vom Land als Berater für den Aufbau des Rheinland-Pfalz-Takts engagiert. Aufgrund seiner exzellenten Fach- und Ortskenntnis fand er originelle Lösungen für Probleme, an denen sich andere wohl die Zähne ausgebissen hätten. So rückte die von der DB noch kurz zuvor für undurchführbar erklärte Reaktivierung der Bahnstrecke von Grünstadt nach Eisenberg schon Ende Mai 1994 plötzlich in greifbare Nähe.

Blamierte Bahn lobt Pfälzer Kommunen

Als am 26. Mai kurz vor Abfahrt des Eröffnungssonderzuges in Eisenberg der Vertrag über die Streckenreaktivierung unterzeichnet wurde, ging der damalige DB-Personenverkehrschef Heinz Neuhaus öffentlich in Sack und Asche. Er räumte ein, dass die Bahn „nicht die schnellste in dem Spurt“ gewesen sei, der zur termingerechten Reaktivierung der Strecke nötig war und fügte an die Adresse der maßgeblich beteiligten Kommunalpolitiker an: „Ganz, ganz herzlichen Dank und Bravo den Vertretern der hiesigen Kommunen, die sich durch nichts, auch nicht durch die anfangs zögernde Bahn haben entmutigen lassen.“

Erste Streckenreaktivierung macht schnell Schule

Die Reaktivierung der Strecke nach Eisenberg war ein entscheidender Durchbruch. Innerhalb kurzer Zeit folgten vier weitere Streckenreaktivierungen: Im Mai 1995 Eisenberg–Ramsen und Grünstadt–Monsheim, im September 1995 Winden–Bad Bergzabern und im März 1997 die Strecke von Winden ins elsässische Weißenburg. In allen Fällen beteiligten sich Kreise und Kommunen an den Kosten.

Seit 1996 sind zwei Zweckverbände mit Sitz in Kaiserslautern und Koblenz zuständig für die Bestellung des regionalen Schienenverkehrs. Hier sind alle Landkreise und kreisfreien Städte vertreten. Erster Verbandsvorsteher des für den Süden zuständigen Zweckverbands in Kaiserslautern war der Dürkheimer Landrat Georg Kalbfuß (SPD), auf ihn folgten Winfried Hirschberger (SPD, Kreis Kusel) und der heutige Vorsteher Fritz Brechtel (CDU, Kreis Germersheim). Das massiv verbesserte Zugangebot durch den Rheinland-Pfalz-Takt führte schon im ersten Fahrplanjahr zu einem enormen Anstieg der Fahrgastzahlen, wobei 1995 allerdings auch die Einführung des Tickets „Schönes Wochenende“ eine wichtige Rolle spielte. In der Pfalz zog sich die Aufbauphase des Rheinland-Pfalz-Takts bis 2000 hin. Als letzte Strecke des Bestandsnetzes wurde im April 2000 die Lautertalbahn von Kaiserslautern nach Lauterecken mit einem täglichen Stundentakt voll in den Rheinland-Pfalz-Takt integriert.

Einen bedeutenden Ausbauschritt brachte das von den beiden Zweckverbänden auf einer gemeinsamen Sitzung 2008 einstimmig beschlossene Programm „Rheinland-Pfalz-Takt 2015“, auch wenn es bei der Umsetzung Verzögerungen gab. Kern des Programms war der Aufbau eines landesweiten Netzes von Regional-Express-Linien. In der Pfalz wurden mit der Linie RE1 auf der Ost-West-Hauptstrecke von Mannheim über Kaiserslautern nach Saarbrücken Lücken gestopft, die die Streichung von Interregio-Zügen gerissen hatte. Mit der Einführung des RE14 von Mannheim nach Mainz bekam Frankenthal eine stündliche Schnellverbindung nach Mainz. Seit gut einem Jahr gibt es einen täglichen Halbstundentakt zwischen Grünstadt und Frankenthal. Seine Einführung erfolgte wegen langwieriger Verzögerungen beim Wiederaufbau des Kreuzungsbahnhofs in Kirchheim allerdings über acht Jahre später als 2008 geplant. Seit Ende 2023 fahren montags bis freitags bisher in Germersheim endende S-Bahn-Züge aus Richtung Ludwigshafen weiter nach Karlsruhe. Auf der Agenda steht nun noch vor allem die Verlängerung der S-Bahn-Linie S1 über Homburg hinaus nach Zweibrücken.