10.06.2023 - Die Rheinpfalz -

Strampeln auf Kaisers Spuren

Eine Bahnstrecke mit viel Geschichte führt durchs Bitscherland. Aber es fahren derzeit nur Draisinen für Touristen. Der Bahnverkehr wurde 2014 komplett eingestellt. Um Bahnhof und Gleise kümmert sich ein rühriger Verein. Wer sich auf eine Draisine wagt, kommt nicht nur aus der Puste, sondern erfährt auch, was das Ganze mit Wilhelm II. zu tun hat.
Von Klaus Kadel-Magin

Der Baustil des Bahnhofs von Bitche passt so gar nicht zu dem, was ihn in der kleinen lothringischen Stadt an Gebäuden umgibt. Das hat mit seinem „Geburtsdatum“ zu tun: erbaut 1903, zu Zeiten des deutschen Reichslands Elsass-Lothringen, errichtet auf kaiserliche Order hin in Bitsch, ebenso wie der Bahnhof in Metz oder die Hauptpost von Straßburg.

Das neu gegründete Reich wollte seinen Anspruch auf Elsass-Lothringen bekräftigen und gleichzeitig den Elsässern und Lothringern zeigen, was es leisten kann. Die deutsche Reichsbahn übergab den Bahnhof 1918 an die französische Staatsbahn SNCF, dann wanderte er 1940 zurück zur deutschen Reichsbahn, um wenige Jahre später wieder unter Regie der SNCF weiterbetrieben zu werden.

Pfälzer Nachbarschaftshilfe Seit 2018 allerdings kümmert sich der Verein Train Touristique Sarreguemines Bitche, abgekürzt T2SB, um das Bahnhofsgebäude – und 3,5 Kilometer Schienen in Richtung Saargemünd. Sonny Sadler, der Vorsitzende des rührigen Vereins, ist ehemaliger „Bahner“. 30 Jahre lang habe er als Lokomotivführer bei einer Grubenbahn in Merlebach gearbeitet, erzählt er. Nach der Rente habe er es nicht lange ohne Bahn ausgehalten und sich mit anderen früheren Bahnmitarbeitern der Bahnstrecke Bitsch-Saargemünd angenommen – sowie des Bahnhofsgebäudes, das innerhalb weniger Jahre regelrecht zugewuchert gewesen sei: Seit knapp zehn Jahren bedient ein „Schienenersatzverkehr“ die Strecke. Sprich: Es fahren Busse auf der Straße.

Zusammen mit Bahnfreunden von der Pfälzer Seite aus Zweibrücken und dem Kreis Südwestpfalz wurde der Bahnhofsbau wieder freigeschnitten und gesäubert. Und dabei stießen die Bahnenthusiasten auf die Spuren des deutschen Kaisers Wilhelm II., wie Sadler den Besuchern jetzt begeistert zeigt. Genau genommen ist es nur das aufwendig gearbeitete Holzparkett mit Ornamenten in einem Wartesaal – der aber nachweislich von Wilhelm II. 1903 bei der Einweihung des Bahnhofsbaus genutzt wurde, wie Sadler betont. Eine Bahn fürs Militär Die Franzosen scheinen mitunter begeisterter vom deutschen Kaiser zu sein als die deutschen Besucher. Zum 120. Jahrestag der Einweihung des Bahnhofs im Mai gab es auf französische Anregung sogar eine Art „Reenactment“ – mit Kaiserdarsteller und Offizieren in deutschen Uniformen.

Die vor über 150 Jahren eröffnete Bahnstrecke diente von Anfang an militärischen Zwecken. Unter Napoleon III. wurden zunächst französische Truppen und Waffen nach Bitche transportiert, dann deutsche Soldaten in den neu gebauten Kasernen versorgt. Die französischen Soldaten rollten nach dem Ersten Weltkrieg wieder über die Gleise, um kurze Zeit später wieder von deutschen Truppen, sowjetischen Kriegsgefangenen und noch mehr Waffen abgelöst zu werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte das französische Militär einen Teil der deutschen Kasernen weiter und baute den Truppenübungsplatz im entferntesten Zipfel des Départements Moselle zu einem der größten Frankreichs aus. Viele junge Franzosen von den Pyrenäen bis in die Normandie nutzten die Strecke, um hier ihren Militärdienst zu absolvieren.

2011 wurde der Personenverkehr eingestellt. 2014 beendete auch das Militär die Nutzung der Bahnstrecke. Die Gleise blieben jedoch erhalten, weil sich das Militär eine Reaktivierung im Ernstfall offenhalten wollte. Ein Glücksfall für den Verein T2SB, der heute die Strecke für Touristenfahrten nutzen darf. Allerdings nur mit Draisinen, die von Mai bis September auf einem 3,5 Kilometer langen Teilstück verkehren und dabei bis zu 40 Touristen pro Fahrt in den Wald und wieder zurück bringen. Den Bahnhof und die Gleise bekommt der Verein umsonst zur Verfügung gestellt. Die Draisinen mussten gekauft werden. Gebraucht konnten die Geräte für 500 Euro pro Fahrzeug erworben werden. Die technisch versierten Ex-Bahner setzten alles wieder in Stand. Neu würde so eine Draisine 4000 Euro kosten, schätzt Sadler. Elf Stück besitzt der Verein. An Fahrtagen sind immer zehn im Einsatz. Eine bleibt in Reserve.

Um es vorweg zu sagen: So eine Draisinentour macht mehr Spaß als so manche Skeptiker glauben mögen. Es wird immer im Pulk gefahren. Alle zu einer vollen Stunde gebuchten Draisinen starten gemeinsam. Ein Führungswagen rollt vorneweg. Zwei Personen nehmen auf den Fahrradsätteln Platz. Zwei weitere Personen können es sich dahinter bequem machen. Hunde dürfen auch mit.

Der Start ist vielversprechend einfach. Es rollt offenbar minimal bergab, und selbst mit gewichtigen Personen beladene Draisinen sind mühelos zu bewegen. Das geht dann ein paar hundert Meter so. Dann wird es allerdings sportlich, weil es offensichtlich doch bergauf geht. An den Beinen ist die Steigung gar nicht mal so arg zu spüren. Es muss jedoch kontinuierlich weitergestrampelt werden. Immerhin folgt mit 50 bis 100 Meter Abstand die nächste Draisine. Und das lange, stetige Treten bis zum Wendepunkt schlaucht am Ende doch. Bis dahin kann aber auch die Landschaft genossen werden.

Die Strecke führt die meiste Zeit durch den Wald. Einmal wird eine Brücke über die Umgehung von Bitsch überquert. Der Bahndamm fällt phasenweise steil nach rechts und dann wieder nach links ab. Wanderer im Wald mustern verdutzt die Draisinenkolonne, die quietschend über die Gleise rollt. Es rattert und scheppert ganz schön, wenn die aus Stahlrohren gefertigten Draisinen in Bewegung sind. Die Mitfahrer werden gut durchgerüttelt, genießen es aber, wenn der kühle Fahrtwind ins Gesicht weht.

Teilnehmerinnen jauchzen und freuen sich, während die Herren auf dem Fahrradsitz in die Pedale treten. Schmetterlinge begleiten den seltsamen Zug ein Stück, wenn es zwischen hohen Felswänden hindurch geht. Ab und zu ragen noch Baumreste neben der Strecke in Richtung Gleise. Gelegentlich neigen sich Stämme bedenklich. Es sieht so aus, als wolle sich die Natur das Gleisbett wieder zurückzuholen. Dabei hatten die Vereinsmitglieder in wochenlanger Arbeit alles freigeschnitten. Es scheint ein ewiger Kampf zwischen Mensch und Natur zu sein. Heute gibt’s Kuchen Am Wendepunkt bei einem früheren Bahnwärterhäuschen wird unter die Draisinen ein Gestell geschoben, und die Geräte werden in die Gegenrichtung gedreht. Dann geht es zurück nach Bitsch, jetzt mit deutlich längeren Abschnitten mit Gefälle. Es war doch schon ganz schön steil und lang auf der Hinfahrt. Dafür geht es zurück sehr schnell. Die Bremsen müssen öfter mal mäßigend betätigt werden. An den zwei Übergängen wird sowieso immer angehalten. Immerhin queren auch noch Autos die Strecke.

In der Ferne ist schon die Zitadelle zu sehen, wie eigentlich aus jeder Richtung, wenn man auf Bitsch zufährt. Es zieht sich aber doch noch ein gutes Stück, bis die Draisine wieder im Bahnhof einfährt – wie vor 120 Jahren der Zug von Kaiser Wilhelm II. Die Teilnehmer der Draisinenexpedition stolpern auf den Bahnsteig zurück. Die nächsten Fahrgäste warten schon, und die Vereinsmitglieder servieren Kaffee und Kuchen.

Wann fährt der nächste Zug? Die Draisine als kleine Touristenattraktion wird es wohl noch ein paar Jahre geben. Sonny Sadler ist nicht bekannt, dass die Strecke nach Sarreguemines in absehbarer Zeit reaktiviert werden könnte. In die andere Richtung, nach Niederbronn-les-Bains hingegen, gebe es ganz konkrete Pläne. Die Region Grand Est und das Département verfolgten mit Nachdruck und viel Geld den Plan, möglichst bald wieder Züge auf der teilweise schon demontierten Strecke fahren zu lassen. Laut Sadler soll es dann möglich sein, in nur einer Stunde und zehn Minuten nach Straßburg zu fahren. So schnell schafft es auch kein Autofahrer, der sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hält. „Das wäre richtig gut für die Region“, glaubt auch Sadler.

Für die Linie an die Saar hingegen sei nichts geplant. Hier wären Sadler und seine Mitstreiter schon froh, wenn irgendwann die Strecke so weit restauriert wäre, um eine Touristenbahn fahren zu lassen, mit der auch Saarländer ins Bitscherland kommen könnten. Als Vorbild dient hier der Bundenthaler auf deutscher Seite, der von Hinterweidenthal bis Bundenthal nicht nur an Wochenenden tausende Wanderer und Radler transportiert.

Information
- Die Draisinen (Velorail) fahren immer sonntags, 11. Juni, 2. Juli, 23. Juli, 13. August, 27. August und 17. September. - Eine Onlinereservierung ist nötig unter www.t2sb.fr. - Babysitze sind vorhanden. - Eine Draisine für vier Personen kostet 22 Euro pro Fahrt.


https://www.t2sb.fr/billetterie