17.08.2022 - Die Rheinpfalz - Zum Artikel, nur R-Plus

Bahn-Reaktivierungen lohnen sich oft

Um Deutschland klimafreundlicher zu machen, wird vielerorts überlegt, alte Bahnstrecken wieder zu beleben. Dabei muss man auf mehr schauen, als nur die Kosten, meinen Wissenschaftler. Die Pfalz hat bei dem Thema schon vor gut 25 Jahren eine Vorreiterrolle gespielt.

Berlin/Ludwigshafen. Die Wiederbelebung stillgelegter Bahnstrecken lohnt sich einer Studie zufolge in vielen ländlichen Regionen Deutschlands. Die Hürden etwa für eine Genehmigung seien aber hoch, fand ein Forscherteam im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) heraus. Zu häufig werde nur mit dem direkten finanziellen Nutzen argumentiert, während die Effekte auf Bevölkerungsentwicklung, Umwelt und Gesellschaft unberücksichtigt blieben.

Der Studie zufolge, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, könnten mehr als drei Millionen Menschen durch die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken eine bessere Verbindung ins nächstgelegene regionale Zentrum bekommen. Positive Effekte gäbe es auf Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Gesellschaft. Unter anderem würden ländliche Orte zu attraktiven Wohn- und Arbeitsorten und damit angespannte Wohnungsmärkte in den Städten entlastet. Man habe den Vorteil des Wohnens auf dem Land, könne aber Arbeit und Freizeitangebote gut erreichen. Zudem profitierten die Regionen von höheren Steuereinnahmen und mehr Tourismus. Die Wiederbelebung der Strecken sei „eine Investition in die Zukunftsfähigkeit einer Region“, sagte Institutsleiter Markus Eltges. Grünstadt–Eisenberg wird 1994 zum Trendsetter Seit 1994, dem Jahr der Bahnreform, wurden der Studie zufolge mehr als 5100 Kilometer Bahnstrecke in Deutschland stillgelegt – und nur etwas mehr als 1000 Kilometer reaktiviert. Im Jahr 2019 sei das Eisenbahnnetz so um 16 Prozent kleiner gewesen als im Jahr 1950. In den vergangenen Jahren habe aber ein Umdenken eingesetzt. Das ist auch am Ampel-Koalitionsvertrag zu erkennen: SPD, Grüne und FDP versprechen darin, das Streckennetz zu erweitern, Strecken zu reaktivieren und Stilllegungen zu vermeiden.

Die Pfalz hat bei dieser Trendwende eine Pionierrolle gespielt. Im Mai 1994 war die Wiedereröffnung des Reisezugverkehrs zwischen Grünstadt und Eisenberg die deutschlandweit erste Streckenreaktivierung. Bereits ein Jahr später folgten die Abschnitte von Eisenberg nach Ramsen und von Grünstadt nach Monsheim, kurz darauf dann auch die südpfälzische Strecke von Winden nach Bad Bergzabern. Besonderes Aufsehen erregte im März 1997 auch überregional die Wiederinbetriebnahme der grenzüberschreitenden Strecke von Winden nach Weißenburg im Elsass, der Ende 2002 dann auch noch die Strecke von Wörth nach Lauterbourg im Elsass folgte. Über die 1999 reaktivierte Strecke von Alzey nach Kirchheimbolanden fahren heute sogar Züge von Kirchheimbolanden nach Frankfurt. In die Landeshauptstadt Mainz hat die nordpfälzische Kreisstadt direkte Züge im Stundentakt.

Zu der Trendwende passt, dass die Deutsche Bahn (DB) im vergangenen Jahr 20 neue Reaktivierungsprojekte für die kommenden Jahre vorgestellt hat. In dieser Liste steht auch die Strecke Homburg–Zweibrücken.

Strecke nach Zweibrücken wird gleich elektrifiziert Ihr stillgelegter Teil befindet sich komplett auf saarländischem Territorium. Wegen der Bedeutung des Projekts für die Westpfalz beteiligt sich Rheinland-Pfalz an der Finanzierung. Das Planungsverfahren ist weit fortgeschritten. Derzeit wird eine Inbetriebnahme im Juni 2025 angepeilt. Die Besonderheit an dem Projekt ist, dass die Strecke mit der Reaktivierung gleich elektrifiziert und in die S-Bahn Rhein-Neckar integriert wird.

Zusammen haben die 20 von der DB vorgestellten Strecken eine Länge von knapp 250 Kilometern. Doch Reaktivierungen sind oft teuer. Zudem gibt es auch bei diesen Bauvorhaben zahlreiche Genehmigungshürden zu überwinden. Auch hier gibt sich die Bundesregierung nun einsichtig. „Die Autoren der Studie haben völlig Recht, dass in der Vergangenheit die Hürden für die Umsetzung einer Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken viel zu hoch war“, teilte der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), mit. Theurer ist parlamentarischer Staatssekretär im von Volker Wissing (FDP) geleiteten Bundesverkehrsministerium. Künftig soll laut Theurer vor allem die Kosten-Nutzen-Rechnung als Voraussetzung für eine Bundesförderung „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden. „Im Vergleich zur bisherigen Berechnungsmethode werden insbesondere Klima- und Umweltnutzen extrem viel stärker berücksichtigt.“ Auf diese Weise könnten künftig auch Projekte gefördert werden, die zuvor herausgefallen seien. In der Südpfalz gibt es große Hoffnungen, dass von der neuen Berechnungsmethode auch die Strecke von Germersheim nach Landau profitiert.

Die „Allianz pro Schiene“, in der sich diverse am Schienenverkehr interessierte Organisationen zusammengeschlossen haben, kritisiert schon seit Jahren ein mangelndes Tempo bei der Wiederinbetriebnahme stillgelegter Strecken. Für das laufende Jahr rechnet die „Allianz pro Schiene“ mit nur einer einstelligen Zahl an reaktivierten Strecken-Kilometern. „Allerdings sind verschiedene weitere Reaktivierungen für 2023 und die Folgejahre bereits absehbar“, hieß es. „Gerade in ländlichen Regionen ist die Reaktivierung weit mehr als nur eine Klimaschutz- oder Verkehrsmaßnahme“, sagte Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege. „In der Regel profitiert die gesamte regionale Entwicklung.“dpa/ebu

Kommentar: Die Pfalz als Pionier der Trendwende

Von Eckhard Buddruss

Bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken war die Pfalz einmal Vorreiter. Aber seit einiger Zeit geht es nur noch sehr mühsam voran. Während vor allem in den neuen Bundesländern nach der Bahnreform von 1993/94 noch diverse Strecken stillgelegt wurden, leitete Rheinland-Pfalz im Mai 1994 mit der Wiedereröffnung des Reisezugverkehrs von Grünstadt nach Eisenberg eine Trendwende ein. Neben dem damals von einer SPD/FDP-Koalition regierten Rheinland-Pfalz spielte auch das damals noch CDU-geführte Baden-Württemberg bei der Reaktivierung von Bahnstrecken eine Pionierrolle. Heute ist das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg bei diesem Thema wesentlich aktiver als Rheinland-Pfalz.

Die verstärkte Diskussion um die Reaktivierung stillgelegter Strecken hat einen wichtigen Nebeneffekt. Sie sensibilisiert für den hohen Wert der vorhandenen Bahnstrecken. Dies gilt auch für diejenigen, die (noch) keinen regelmäßigen Taktverkehr haben. In Rheinland-Pfalz wurde mit der Förderrichtlinie für NE-Bahnen ein Instrument geschaffen, Zweigstrecken, die nicht von der Deutschen Bahn (DB) betrieben werden, zu erhalten und zu modernisieren. Nach langen Mühen wurden auf diesem Weg 2020 Mittel für die Brohltalbahn im nördlichen Rheinland-Pfalz und die (wegen der verschleppten Sanierung gesperrte) Zellertalbahn bewilligt. Überfällig ist nun eine solche Entscheidung bei der vor gut 25 Jahren reaktivierten Wieslauterbahn im Dahner Felsenland.