15.01.2021
Die Rheinpfalz

Neue Perspektiven für Bahnlinien im Ländle

In Baden-Württemberg konkretisieren sich Pläne für die Reaktivierung weiterer stillgelegter Strecken

Stuttgart. Durch die Klimaschutzdiskussion haben bundesweit Pläne für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken Rückenwind bekommen. Dabei sind allerdings teilweise hohe Hürden zu überwinden. Die Aussichten, dass es 2021 Fortschritte gibt, sind vor allem in Baden-Württemberg gut, weil die grün-schwarze Landesregierung dem Thema hohe Priorität einräumt.

Auf ihrem Weg von Ludwigsburg nach Markgröningen passieren die rostbraunen Schienen mehrere Brücken und Straßen, sie führen an kleinen Schranken vorbei, an einem Andreaskreuz, an Industrieanlagen und Feldwegen. Nur fährt hier seit vielen Jahren nichts mehr, der reguläre Personenverkehr wurde sogar schon Mitte der 1970er Jahre eingestellt, damals gegen den Willen der Anwohner.

Seit langem wird debattiert, wie wichtig eine Anbindung der 14.500-Einwohner-Stadt im Speckgürtel Stuttgarts ist. „Wir wollen die Anbindung“, sagt Stadtbaumeister Klaus Schütze. Markgröningen werde dadurch attraktiver für Pendler und Unternehmen, außerdem seien Züge sicherer als Busse und Autos. Bislang wuchert das Unkraut zwar weiter, aber das Verkehrsministerium in Stuttgart macht den Markgröningern Hoffnung. Die Verbindung gehört zu einem Dutzend Projekten, die nach einer Studie ein sehr hohes Nachfragepotenzial von mehr als 1500 Passagieren pro Schultag besitzen. Das gilt auch unter anderem für die Echaztalbahn zwischen Reutlingen und Engstingen, die Bottwartalbahn zwischen Marbach (Neckar) und Heilbronn sowie für die Strecke von Göppingen über Bad Boll nach Kirchheim/Teck. Insgesamt 20 weitere Strecken im Land könnten laut Analyse mit einem hohen oder mittleren Fahrgastaufkommen rechnen.

Für die Studie waren die Fahrgastpotenziale von insgesamt 42 stillgelegten Stecken untersucht worden. Für Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann ist es genau die richtige Zeit für eine Wiederbelebung der alten Verbindungen. Die Baukosten würden vom Bund mit bis zu 90 Prozent gefördert, das Land beteilige sich zudem an den verbleibenden Kosten, verspricht er. Der Grünen-Politiker räumt aber auch ein: „Man braucht Geduld, das geht nicht so schnell.“ Erfolge wie die Ammertalbahn (von Tübingen nach Herrenberg), die Schönbuchbahn (von Böblingen nach Dettenhausen) und das sogenannte Seehäsle (von Radolfzell nach Stockach) zeigten aber, dass es sich lohne. „Gerade weil die Straßen voll sind, ist die Schiene wieder attraktiv“, wirbt der Grünen-Politiker.

Bisherige Fälle ermutigend Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht das Land beim Thema Reaktivierungen deshalb auch bereits auf einem guten Weg. Baden-Württemberg setze schon länger auf Reaktivierungen, um den Schienenverkehr zu beleben. „Bei einer solchen Reaktivierung hat man zunächst mal einen Fuß in der Türe. Ausbauen kann man die Verbindung später immer noch“, sagt zudem der Pro-Bahn-Landesvorsitzende Stefan Buhl. „Es ist wichtig, mit Verstand an solche Projekte zu gehen und nicht gleich die Luxuslösung für eine Strecke zu erwarten.“ Buhls Fahrgastverband Pro Bahn argumentiert mit Umweltaspekten. Außerdem feierten bereits wiederbelebte Strecken große Erfolge.

Das gilt auch für die 1996 wieder in Betrieb genommene Seehäsle-Bahn zwischen Radolfzell und Stockach, mit der heute rund 3500 Menschen pro Tag unterwegs sind: Erwartet worden war nur die Hälfte davon. „Das Seehäsle wird sehr gut angenommen und akzeptiert. Die Leute identifizieren sich damit“, bilanziert der Landrat des Kreises Konstanz, Zeno Danner. dpa/ebu

Kommentar: Früherer Pionier lässt nach

Von Eckhard Buddruss
Rheinland-Pfalz ist in der Bahnpolitik kein Vorreiter mehr. Ob die Bilanz der Ampelkoalition dennoch präsentabel ist, hängt von der Wieslauterbahn ab.

Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren in den Jahren nach der Bahnreform von 1993/94 Pioniere bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Dabei gab es deutliche Unterschiede. Die Reaktivierungen in Rheinland-Pfalz erfolgten zeitweise verblüffend schnell auf Strecken, bei denen dies mit geringem Aufwand möglich war und in eher ländlichen Regionen wie dem Donnersbergkreis und dem nördlichen Kreis Bad Dürkheim. Baden-Württemberg brauchte etwas länger, war deswegen nicht der Allererste, erzielte aber mit Strecken in Verdichtungsräumen wie der Ammertalbahn und der Schönbuchbahn viel spektakulärere Fahrgastzahlen. Die Schönbuchbahn von Böblingen nach Dettenhausen ist gerade wegen des starken Verkehrsaufkommens sogar (in einem zweiten Schritt) elektrifiziert worden.

Baden-Württemberg setzt nun nicht zuletzt dank Verkehrsminister Winfried Hermann (Die Grünen) dezidiert auf weitere Streckenreaktivierungen. Dagegen sind die Zeiten, in denen der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Rainer Brüderle (FDP) rot-grünen Landesregierungen als leuchtendes Vorbild präsentiert werden konnte, leider vorbei. Relativ gut steht die Landesregierung derzeit nur beim Projekt Homburg–Zweibrücken da. Bei den beiden anderen Pfälzer Vorhaben, die der Ampelkoalitionsvertrag von 2016 enthält, ist das Bild nicht gerade ruhmreich, obwohl es dabei lediglich um die Konsolidierung schon früher erfolgter Reaktivierungen geht. Bei der Zellertalbahn hat sich die Bewilligung der Mittel für die Sanierung der maroden Infrastruktur so lange hingezogen, dass die Strecke zwischenzeitlich gesperrt werden musste. Immerhin ist hier nun die Kuh vom Eis. Der Fall der Wieslauterbahn im Dahner Felsenland hat weniger Aufmerksamkeit erregt, weil die Strecke weiterhin befahrbar ist. Hier steht aber der Bewilligungsbescheid für die Sanierung immer noch aus. Für die bahnpolitische Bilanz der Legislaturperiode ist es von erheblicher Bedeutung, ob dieses Problem in den nächsten Wochen noch gelöst wird.