16.07.2020
Die Rheinpfalz

Neuer Trend zur Reaktivierung alter Bahnlinien

Der Durchbruch für das Projekt Homburg–Zweibrücken ist kein Einzelfall – Auf Bundesebene steht künftig deutlich mehr Geld zur Verfügung
Von Eckhard Buddruss

Ludwigshafen. Die Klimaschutzdiskussion hat dem Thema Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken Auftrieb gegeben. In der vergangenen Woche gab es einen Durchbruch für die Verlängerung der S-Bahn Rhein-Neckar nach Zweibrücken. Fast gleichzeitig haben Organisationen aus der Bahnbranche ein bundesweites Programm vorgelegt. In die gleiche Richtung gehen Vorschläge des Umweltverbands BUND.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Organisation „Allianz pro Schiene“ haben ein Konzept vorgestellt, in dem sie bundesweit 238 Strecken mit insgesamt 4016 Kilometern Länge zur Reaktivierung vorschlagen. Laut Berechnungen der „Allianz pro Schiene“ wurden zwischen 1994 (dem Inkrafttreten der Bahnreform) und 2020 bereits Verbindungen mit insgesamt 933 Kilometer Länge für den Personenverkehr und 364 Kilometer für den Güterverkehr wieder in Betrieb genommen. Allerdings wurden in diesem Zeitraum mit über 3600 Kilometern deutlich mehr Strecken im Personenverkehr abbestellt als reaktiviert. Beim Güterverkehr fällt der Saldo ebenfalls negativ aus. Insgesamt hat das Schienennetz derzeit eine Streckenlänge von rund 38.500 Kilometer – im Bahnreform-Jahr 1994 waren es noch 44.600 Kilometer.

„Nicht auf Ballungsgebiete und ICE beschränken“ Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, betont: „Mit der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken können wir den jahrzehntelangen Rückzug der Schiene aus der Fläche stoppen und umdrehen. Das ist ein Erfolgsrezept für einen besseren Verkehrsmix in der Zukunft.“ Flege wandte sich gegen die lange Zeit verbreitete Neigung, den Schienenverkehr auf Ballungsgebiete und Fernzüge zu beschränken: „Wenn die Eisenbahn das Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts werden soll, dann müssen wir das ganze Land im Blick haben und nicht nur die Großstädte und Ballungsräume oder den Fernverkehr. In Deutschland leben rund 70 Prozent der Menschen in Mittel- und Kleinstädten oder im ländlichen Raum.“

In der Reaktivierungsliste von VDV und Allianz pro Schiene taucht beim Pfälzer Bahnnetz nun zusätzlich zu den schon vorher aufgeführten Strecken Homburg–Zweibrücken und Monsheim–Langmeil (Zellertalbahn) auch die Strecke von Landau nach Germersheim auf. In der Kategorie „Reaktivierung zu prüfen“ wird die Strecke von Landau nach Herxheim aufgeführt. Sie ist ein Sonderfall, weil die Pläne hier über eine bloße Reaktivierung hinausgehen. Es gibt die Idee, die von Landau kommende Strecke über Herxheim hinaus bis zur Strecke Germersheim–Wörth zu verlängern und ins Karlsruher Stadtbahnnetz zu integrieren. Hierfür wurde eine neue Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) in Auftrag gegeben. Eine frühere NKU hatte nicht den für eine Realisierung erforderlichen Wert ergeben.

BUND für Wiederaufbau demontierter Strecken Zustimmung finden die Vorschläge aus der Bahnbranche beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der rheinland-pfälzische Landesverband des BUND hat ein noch wesentlich weiter gehendes Konzept für den Ausbau des Schienennetzes vorgelegt. Neben der Elektrifizierung wichtiger Hauptstrecken wie Neustadt–Wörth und Gau-Algesheim–Neubrücke (als Lückenschluss zwischen Mainz und Saarbrücken) enthält es ein umfangreiches Streckenreaktivierungsprogramm. Während sich die Reaktivierungsforderungen ansonsten meist auf Strecken beschränken, deren Gleisinfrastruktur noch vorhanden ist, plädiert der BUND Rheinland-Pfalz dafür, in einigen Fällen auch bereits abgebaute Strecken wieder aufzubauen, beispielsweise zwischen Trier und Hermeskeil sowie zwischen Emmelshausen und Simmern. Zu den Kandidaten für eine Reaktivierung zählt der BUND Rheinland-Pfalz auch die heute für Draisinenfahrten genutzte Glantalbahn von Staudernheim über Lauterecken nach Altenglan. Der BUND unterscheidet dabei zwischen kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen. Langfristig sollte nach Ansicht des stellvertretenden BUND-Landesvorsitzenden Michael Carl auch in den aktuell besonders schlecht vom Schienenverkehr erschlossenen Regionen Eifel und Hunsrück wieder ein gewisses Grundangebot geschaffen werden.

Dass es im südlichen Rheinland-Pfalz, insbesondere in der Pfalz, noch (oder teilweise wieder) ein relativ dichtes Schienennetz gibt, liegt nicht zuletzt an der Bereitschaft der Kreise und Kommunen, sich selbst finanziell dafür zu engagieren. Erleichtert wurde dies dadurch, dass es sich meist um relativ kurze Abschnitte mit tragbarem Finanzvolumen handelte. Dank des Engagements insbesondere der Landkreise Bad Dürkheim, Donnersbergkreis und Südliche Weinstraße gelang es dem damaligen rheinland-pfälzischen Verkehrsminister Rainer Brüderle (FDP) in der Mitte der 90-er Jahre wiederholt, bundesweit beachtete Positiv-Schlagzeilen mit der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken zu machen – am meisten 1997 mit der grenzüberschreitenden Strecke von Winden nach Weißenburg im Elsass.

Zwei Finanzierungstöpfe mit Vorteilen und Tücken Für die Finanzierung künftiger Streckenreaktivierungen stehen vor allem zwei Töpfe zur Verfügung. Zum einen das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), über das unter anderem die Verlängerung der S-Bahn Rhein-Neckar nach Zweibrücken finanziert wird. Dank dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung wird die für GVFG-Projekte bereit stehende Summe etappenweise zunächst auf 1 Milliarde, dann sogar auf 2 Milliarden Euro pro Jahr erhöht. Um Mittel aus diesem Topf konkurrieren allerdings auch Großprojekte wie die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München. Problematisch ist dabei außerdem, dass es oft schwierig ist, die Hürde der Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) zu überwinden.

Ohne NKU zugänglich sind Mittel aus einem Topf, der im Fachjargon als „LuFV 8.7“ bezeichnet wird. Er ist Teil der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und Deutscher Bahn (DB) und für kleinere Projekte gedacht. Obwohl es sich um Bundesmittel handelt, können darüber de facto nach einer festgelegten Quote die Bundesländer verfügen. Von bundesweit 2,8 Milliarden Euro in den Jahren bis 2029 entfallen rund 143 Millionen Euro auf Rheinland-Pfalz.

Kommentar: In die Bahnpolitik kommt ein neuer Zug

Von Eckhard Buddruss

Vieles spricht für die Reaktivierung weiterer Bahnstrecken. Für eine große Offensive werden aber mehr Mittel und bessere Regeln gebraucht.

Beim Thema Bahn-Reaktivierungen geht es voran. Beispiele für Projekte, die lange strittig waren und nun Fahrt aufnehmen, sind Homburg–Zweibrücken und in Baden-Württemberg die Hermann-Hesse-Bahn von Calw nach Weil der Stadt. Es zeichnet sich aber auch ab, dass längst nicht alle Projekte, die umwelt- und verkehrspolitisch wünschenswert wären, eine realistische Finanzierungsperspektive haben. Um das zu ändern, müssten vor allem auf Bundesebene die dafür bereit stehenden Mittel deutlich stärker aufgestockt werden als bisher geplant. Ein anderes Problem ist die bisherige Methode der Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU), die in immer mehr Fällen an ihre Grenzen stößt und oft weithin als dringlich anerkannten Vorhaben im Weg steht.

Schon allein die Diskussion über die Reaktivierung oder sogar den Wiederaufbau von Bahnstrecken hat einen positiven Nebeneffekt. Sie sensibilisiert für den Wert von Strecken, die noch vorhanden sind und macht deutlich, dass man sie keinesfalls dem Verfall preisgeben darf, wie das etwa bei der Eifelquerbahn im nördlichen Rheinland-Pfalz leider geschehen ist. Überfällig ist in dieser Perspektive, dass das Mainzer Wirtschaftsministerium endlich die Mittel für die Sanierung der nordpfälzischen Zellertalbahn bewilligt. Eckhard Buddruss ist Redakteur im Ressort Politik