Allianz Pro Schiene:
Verkehr produziert gigantische Folgekosten


27.08.2019
Die Rheinpfalz

Autoverkehr mit hohen Folgekosten

In Deutschland verursacht der Straßenverkehr jedes Jahr externe Kosten von 141 Milliarden Euro. Die werden nicht von den Verursachern getragen. Die Allgemeinheit wird durch Unfall- und Klimafolgen, Luftverschmutzung, Lärm und Produktionsprozesse belastet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Infras-Instituts in Zürich im Auftrag der Allianz pro Schiene.
Von Thomas Wüpper, Berlin

„Die Studie demonstriert dem Klimakabinett den dringenden Handlungsbedarf im Verkehr“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, in Berlin. Bis Mitte September will die Bundesregierung ihre Klimaschutz-Konzepte vorlegen, mit denen vor allem der wachsende Schadstoffausstoß im Straßenverkehr reduziert werden soll. Das gemeinnützige Bündnis fordert ein mutiges Umsteuern in der Verkehrspolitik hin zu umweltschonenden Bahnen und Bussen.Bei der Klimadebatte werden die sogenannten externen Kosten oft ausgeblendet. Damit sind Auswirkungen gemeint, die von Mobilität verursacht, aber von den Beteiligten nicht selbst getragen werden, sondern der Allgemeinheit zur Last fallen. Die wissenschaftliche Studie der Schweizer Experten veranschlagt die gesamten externen Kosten für das Jahr 2017 auf 149 Milliarden Euro. Mit weitem Abstand größter Verursacher von Folgekosten ist demnach der Straßenverkehr mit 141 Milliarden Euro. Nur 3,8 Prozent der Belastungen erzeugen die Eisenbahnen, 0,9 Prozent der inländische Luftverkehr und 0,8 Prozent die Binnenschifffahrt.

Pro Kilometer verursachen Pkw-Fahrer demnach mit 11 Cent mehr als drei Mal so hohe externe Kosten wie Nutzer von Bahnen und Bussen. Nur der innerdeutsche Flugverkehr erzeugt mit fast 13 Cent noch höhere Belastungen für die Allgemeinheit. Für Flege zeigen die Zahlen, dass eine Verkehrsverlagerung hin zur Schiene den Klimaschutz und die Luftqualität verbessern und die Anzahl der Unfallopfer drastisch senken könnte. Eine verschleppte Verkehrswende werde viel teurer als rasches Handeln.

2007 hatte Infras die externen Kosten schon einmal erfasst und damals mit rund 80 Milliarden Euro angegeben. Der Vergleich beider Studien sei aber wegen unterschiedlicher Methodik nur bedingt möglich, betont das Institut. Der Berliner Wirtschaftsprofessor Christian Böttger hatte vor einiger Zeit in einer Studie für den Verband der Güterbahnen NEE die Gesamtkosten des Autoverkehrs auf rund 100 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt, von denen nur ein Bruchteil durch Abgaben der Verursacher gedeckt sei. Infras hat für das Gutachten die externen Transportkosten nach aktuellen Maßstäben des Umweltbundesamts und der EU-Kommission berechnet. Die größten Belastungen für die Allgemeinheit verursachen demnach Unfälle mit insgesamt 61 Milliarden Euro, von denen 98 Prozent auf den Autoverkehr entfallen. Auf deutschen Straßen starben allein voriges Jahr 3265 Menschen, bei mehr als 300.000 Unfällen gab es zudem rund 400.000 Verletzte. Für Opfer und Hinterbliebene fließen aus den Kassen von Sozialversicherungen und dem Steueraufkommen jedes Jahr hohe Milliardensummen.

Zweitgrößter Kostenblock sind mit 31 Milliarden Euro vor- und nachgelagerte Prozesse, die Folgekosten durch Emissionen von Treibhausgasen und Luftschadstoffen erzeugen. Das betrifft Energieträger wie Treibstoffe und Strom sowie die Produktion von Fahrzeugen, aber auch Herstellung und Unterhalt der nötigen Verkehrsinfrastruktur, also von Straßen- und Schienennetzen, Flughäfen und Wasserstraßen.

Die Klimakosten durch den gesamten Verkehr werden auf knapp 27 Milliarden Euro veranschlagt, die Natur- und Landschaftskosten auf knapp 13 Milliarden, die monetären Belastungen durch Luftschadstoffe auf fast 10 Milliarden und die Folgekosten durch Lärm auf rund 8 Milliarden Euro.

Zur Methodik: Bei den externen Klimakosten werden 180 Euro pro Tonne Kohlendioxid-Emissionen aus dem direkten Betrieb von Autos, Bahnen, Flugzeugen oder Schiffen veranschlagt. Beim Lärm und dem Landschaftsverbrauch werden spezifische Kostensätze mit der Fahrleistung und der Länge und Fläche der Infrastruktur multipliziert. Der Verband der Automobilindustrie erklärt, dass die Berechnungen zu externen Kosten „nur bedingt“ als Richtschnur für die Politik taugten. Je nach Methodik gebe es große Bandbreiten. Der Verkehr leiste schon jetzt spezifische Steuern und Abgaben von jährlich über 50 Milliarden Euro, die auch zur Abdeckung entstehender externer Kosten dienten. Fast 90 Prozent der Verkehrsleistung im Personenverkehr und über 70 Prozent im Güterverkehr entfielen zudem auf die Straße und es würden große Anstrengungen unternommen, die externen Kosten zu verringern. So seien die Stickstoff-Emissionen im Straßenverkehr seit Anfang der 1990er-Jahre um 70 Prozent gesunken, die Anzahl der jährlichen Verkehrstoten seit Anfang der 1970er-Jahre um rund 85 Prozent.

Kommentar: Schwere Versäumnisse

Von Thomas Wüpper, Berlin

Pkw und Lkw richten enorme Schäden an. Auch deshalb muss die Verkehrspolitik endlich umsteuern

. Die wahren Kosten der Verkehrsträger für die Gesellschaft und die Umwelt sind seit Jahrzehnten ein heftig umstrittenes Thema. Klar ist: Der Autoverkehr schneidet dabei extrem schlecht ab, besonders wegen der hohen Folgekosten durch Unfälle und Umweltlasten. Das bleibt der Öffentlichkeit aber verborgen, weil keine transparenten Gesamtbilanzen und Vergleiche existieren, wie viele Zuschüsse in den Auto-, Schienen-, Flug- und Schiffsverkehr fließen und welche Kosten und externen Belastungen in Summe verursacht werden. Das ist eines von vielen Versäumnissen der deutschen Verkehrspolitik. In der vorbildlichen Schweiz werden diese wichtigen Daten schon seit Jahren erhoben. Die neue Studie des Züricher Infras-Instituts offenbart nun, welche gigantischen Belastungen in Deutschland der Allgemeinheit durch den beständig wachsenden Pkw- und Lkw-Verkehr ungefragt aufgebürdet werden.

Es ist schon bezeichnend für den Zustand dieser Regierung, dass ein gemeinnütziger Verein solche Studien bestellen und bezahlen muss, während der zuständige Verkehrsminister Scheuer seine Zeit und Steuergeld lieber mit letztlich gescheiterten Plänen für eine Pkw-Maut für Ausländer verschwendet hat. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition und das Klima-Kabinett von Kanzlerin Merkel die spannenden Infras-Ergebnisse zu würdigen wissen.

Wer die Fakten nicht stur verdrängt, weiß allerdings längst, dass eine Verkehrswende hin zu umweltschonenden Bahnen und Bussen überfällig ist. Dafür muss die Politik endlich mutig handeln. Ob diese Koalition dafür die Kraft hat, ist nach den bisherigen Erfahrungen fraglich.