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19.09.2015
Die Rheinpfalz

Auferstehung aus einer Ruine

Gerichts-Geschichte (4 und Schluss): Nach dem Krieg wurde das zerstörte Schloss wieder aufgebaut und das Pfälzische Oberlandesgericht zog ein
Von Walter Dury

Nachdem das Schloss in einem Bombenhagel am Abend des 14. März 1945 zusammen mit fast der gesamten Innenstadt weitgehend in Schutt und Asche gelegt worden war, lag seine Ruine fast zwei Jahrzehnte lang wie eine offene Wunde in der Stadtmitte. Entgegen der Annahme amerikanischer Berichterstatter hatte die Stadt zwar nicht aufgehört zu existieren, aber es ging zunächst nur darum, die Trümmerberge wegzuräumen und schnellstens wieder Wohnraum, Geschäfte und die nötige Infrastruktur aufzubauen.An der Schlossruine wurden nur die nötigsten Sicherungsarbeiten ausgeführt, um Passanten nicht zu gefährden. Im Innern türmten sich die Schuttberge, und die teilweise noch stehenden Außenmauern waren schutzlos dem Verfall preisgegeben. Niemand hatte einen Plan, was aus der Ruine werden soll. Wie nach seiner ersten Zerstörung nach der Französischen Revolution stritten die Zweibrücker über Abriss oder Wiederaufbau. Diese Diskussion ließ Forderungen nach einer Rückkehr des Oberlandesgerichts nach Zweibrücken, das 1946 auf Befehl der französischen Besatzungsmacht in Neustadt an der Weinstraße wieder errichtet worden war, keinen Raum.

Die Stadtverwaltung tat im Gegenteil viel dafür, dass der Gedanke einer Rückverlegung gar nicht erst aufkam. Von der städtischen Spitze kamen mutlose, zuweilen auch kurzsichtige andere Verwendungsvorschläge: Rathaus oder Kulturhalle. Möglichst im „fortschrittlichen“ Baustil der neuen Zeit, eventuell unter Einbeziehung einiger verbliebener Bauteile; etwa wie bei der Berliner Gedächtniskirche. Der Wiederaufbau des Schlosses wurde abgelehnt, weil es ein Zeugnis vergangener Epochen sei. Mit diesem Argument wurde auch in Berlin das beschädigte Stadtschloss abgerissen – inzwischen wird es wieder errichtet. Es verwundert aus heutiger Sicht, dass in diesen Diskussionen nur an ein Gebäude für städtische Zwecke gedacht wurde, die Rückkehr des höchsten pfälzischen Gerichts und die damit verbundenen Chancen für die Stadt dagegen keine Rolle spielten. Nur einige Unentwegte erinnerten beharrlich daran, dass eine Rückverlegung des Oberlandesgerichts geschichtlich geboten sei. Sie sei auch von großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Und der Wiederaufbau des Schlosses könne die Tür für die Rückkehr des Gerichts öffnen – und umgekehrt. Sehr engagiert und beharrlich – von vielen als Träumer oder Wirrköpfe belächelt – verfolgten insbesondere der Jurist und Kunsthistoriker Julius Dahl sowie der Landtagsabgeordnete Rechtsanwalt Max Schuler aus der Poststraße mit seinen Söhnen Karl-Heinz und Hans, genannt Elef, dieses Ziel. Diese Juristen standen an der Spitze einer kleinen, aktiven Bürgerbewegung – ein Begriff, den es damals noch nicht gab. Und sie hatten mit ihrem beharrlichen Werben Erfolg.

Für Außenstehende relativ überraschend beschloss der Landtag in Mainz am 10. Juli 1962 nach einer Kampfabstimmung die Zurückverlegung des Oberlandesgerichts nach Zweibrücken. Schuler (CDU) war es wohl durch seine Beharrlichkeit gelungen, Ministerpräsident Peter Altmeier für diesen Akt der Wiedergutmachung zu gewinnen; als Koblenzer war es ihm wahrscheinlich ohnehin nicht wichtig, wo das OLG der Pfalz seinen Sitz hat. Mit entscheidend war, dass auch in Neustadt ein neues Gerichtsgebäude hätte gebaut werden müssen. Und der Minister für Finanzen und Wiederaufbau, Fritz Glahn (FDP) aus Dellfeld, der mit Zweibrücken engstens verbunden war, konnte alle Zweifler mit der Auskunft überzeugen, die nötigen Finanzen für den Wiederaufbau des Schlosses stünden bereit. Neben einem Großteil der CDU-Fraktion und allen Abgeordneten der FDP stimmte der frühere Zweibrücker Oberbürgermeister Ignaz Roth (SPD) für die Rückkehr des Gerichts.

Ab Ende 1962 wurde eifrig gebaut, und schon am 1. Januar 1965 konnte das OLG in das Zweibrücker Schloss zurückkehren. Der Zeitplan wurde eingehalten, die Kostenschätzung von knapp acht Millionen Mark sogar unterschritten! Das Schloss war nach den Originalfassadenplänen rekonstruiert, schöner denn je. Und das Innere erfüllt heute, nach wiederholten Renovierungen, alle Ansprüche an ein modernes Gerichtsgebäude. Zugleich ist es ein gerne genutzter Rahmen für kulturelle und andere repräsentative Veranstaltungen. Das Schloss steht heute wie kein anderes Gebäude für die reiche Geschichte der Stadt, zugleich aber auch für eine unabhängige, bürgerfreundliche und leistungsfähige Justiz.

Der 1965 erfolgte Zuzug der vielen Neubürger hatte erhebliche Auswirkungen auf den noch sehr fragilen Wohnungsmarkt der Stadt. Da fügte es sich gut, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobau in der Gutenbergstraße, an der Steinhauser Straße, auf Sechsmorgen in Niederauerbach und später im Ernstweilertal viele neue Wohnungen errichtete. So war nicht nur die Unterbringung des Gerichts, sondern auch der dort Beschäftigten, entgegen allen Prophezeiungen der Gegner einer Rückverlegung, letztlich kein Problem. Mehr Gewicht – bis heute – hat die Kritik an der schlechten Erreichbarkeit des Gerichts. Zweibrücken ist sowohl mit der Bahn als auch über die Straße nicht immer leicht zu erreichen. Und die Zeit, als man früh am Morgen von Berlin zur Verhandlung nach Zweibrücken einfliegen konnte – wie ein Richter, der dort eine Professur hatte –, ist leider vorbei.

Die Stadt Zweibrücken wäre ohne das Oberlandesgericht und seine Generalstaatsanwaltschaft erheblich ärmer. Es ist sehr fraglich, ob das Schloss nach der letzten Zerstörung in seiner ursprünglichen Gestalt wieder aufgebaut worden wäre, wenn man es nicht für die Rückkehr des Gerichts an seinen angestammten Sitz benötigt hätte. Das vom Krieg erneut schwer getroffene Zweibrücken konnte sein Stadtbild mit dem Glanz des Schlosses erheblich aufwerten und zugleich viele attraktive Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft zurückgewinnen. Vor allem erhielt die Stadt wieder eine überregionale Bedeutung und Bekanntheit. Denn es geht nicht nur um die herausgehobene Rolle des Gerichts für die Rechtsprechung. Hier befinden sich auch wesentliche Verwaltungseinrichtungen der Justiz. Der Präsident des Oberlandesgerichts übt die Dienstaufsicht über die vier Landgerichte sowie die 15 Amtsgerichte und der Generalstaatsanwalt über die vier Staatsanwaltschaften in der Pfalz aus. Zweibrücken ist damit die pfälzische Justizhauptstadt.

Die Serie

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken feiert sein 200. Jubiläum. Die RHEINPFALZ nimmt dies zum Anlass, einmal die Geschichte des Gerichtes genauer zu beleuchten. Ist es doch wohl das älteste deutsche Obergericht im Sinne eines modernen Rechtsstaats. Die vierteilige Serie untersucht unter anderem, welche Folgen die Verlegung des damals Appellhof genannten Gerichts 1816 von Kaiserslautern nach Zweibrücken für die relativ kleine Stadt hatte. Und welche Folgen dies in den folgenden beiden Jahrhunderten für Zweibrücken und seine Bürger hatte. Autor der Serie ist Walter Dury, der von 1995 bis 2009 Präsident des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken war. (red)