Ein Bericht über einen engagierten Bahnfreund aus der Region.
Gleis 1 ist sowohl in Zweibrücken als auch in Homburg in gutem Zustand, aber das Wort "verschieben" ist auch hierzulande bekannt.


19.08.2014
Mannheimer Morgen

LADENBURG:
Wolfgang Löckel wohnt seit 40 Jahren im Bahnhof / Neuer Bildband enthält historische Fotos aus der Römerstadt-Bahnhistorie

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„Gleis 1 spottet jeder Beschreibung“

Original-Auslegerleuchten aus der Vorkriegszeit tauchen das Arbeitszimmer in warmes Licht. In Regalen und Vitrinen stehen haufenweise Bücher und Miniaturmodelle. Wir sind zu Besuch beim Ladenburger Eisenbahnfachmann, Sammler und Fachautor Wolfgang Löckel. Adresse: Am Bahnhof 3. Beinahe im Minutentakt rauschen draußen, nur wenige Meter von den Fenstern entfernt, Züge vorbei.

Der Mieter empfindet das aber nicht als Lärm. Bereits seit August 1974, und damit fast auf den Tag genau 40 Jahre lang, lebt der frühere Zugführer in dem historischen Sandsteingebäude. "Seitdem sammle ich, was ich zur Eisenbahngeschichte kriegen kann", erzählt Löckel in seinem besonderen Wohnhaus, das 1846 am nördlichen Neckarbrücken- und Bahnhofkopf als Teil des Bahndamms der Main-Neckar-Bahn aus rotem Sandstein erbaut wurde.

Bürgermeister zu Gast
"Die ganze Wohnung ist ein Museum", sagt Bürgermeister Rainer Ziegler. Das Stadtoberhaupt war zusammen mit Lore Blänsdorf eingeladen, die das Archiv „Historische Bilder von Ladenburg“ betreut und Löckel mit Bildmaterial „versorgt“ hat. Denn dieser schreibt neben Fachbeiträgen für Zeitschriften wie "Bahn-Epoche" auch Bücher wie zum Beispiel "Mannheim, hier Mannheim". Löckels jüngstes Werk heißt "Weinheim und seine Eisenbahnen" (EK-Verlag, Freiburg) und enthält insgesamt zehn historische Schwarzweißaufnahmen der Ladenburger Bahnhistorie zwischen 1948 und 1979. Sie stammen sowohl aus der Blänsdorf-Sammlung als auch aus den Bild-Archiven von "Thomé-Photographie" und Winfried Seidel (Automuseum Dr. Carl Benz). Es sind großartige Bilder aus einer anderen Zeit, als die Ladenburger Industriegleise auch noch befahren wurden. Es gab eine große Güterabfertigung am Bahnhof. Im Herbst wurden dort tonnenweise Zuckerrüben auf Waggons verladen. Reisegepäck, Express-, Eil- und Stückgut stapelten sich in dafür vorgesehenen Lagerräumen. Heute kaum noch vorstellbar: Als Julius Haug 1963 Chef des Ladenburger Bahnhofs wurde, standen hier noch 80 Menschen in Lohn und Brot. Früher waren es noch viel mehr. Bis 1992, als die Bahnhofshalle geschlossen wurde, gab der allseits beliebte Herr Rohrer sachkundig Reiseauskünfte und verkaufte Tickets. Alles vorbei.

"Als der Fahrdienstleiter nach Friedrichsfeld versetzt wurde, war dem Verfall Tür und Tor geöffnet", sagt Löckel. Der glühende Eisenbahn-Fan übt als Chef des Kuratoriums der Stiftung Deutsche Eisenbahn (SDE) scharfe Kritik an der Bahn und rennt damit auch bei Bürgermeister Ziegler offene Türen ein. "Gleis 1 spottet jeder Beschreibung", ärgert sich Löckel über den Zustand des Bahnsteigs in Richtung Frankfurt. Das Thema ist seit Jahren ein Aufreger in der Römerstadt: Zu- und Ausstieg sind für Behinderte fast unmöglich, für ältere Menschen häufig sehr beschwerlich.

Ausbau verschiebt sich ständig
"Ich habe mehrfach erlebt, wie Leute beim Aussteigen schwer gestürzt sind", empört sich Löckel über das Gebaren der Bahn, die nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, sondern stets auf den Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar verweist, der sich aber ständig nach hinten verschiebt. Doch ist Löckel freilich ebenso machtlos wie Ziegler, dessen Amtsvorgänger Rolf Reble Verhandlungen mit der Bahn als "größtes Abenteuer der Neuzeit" bezeichnet hatte.

Zurück zu den "Bilderstreifzügen rund um die Zweiburgenstadt" (Untertitel des Buchs von Wolfgang Löckel), die auch in die Römerstadt führen: Ein Foto entstand 1950 an den früheren Freiladegleisen und dokumentiert das Abladen von ausrangierten US-Armeelastern, aus denen 1300 Mitarbeiter der damaligen Ladenburger Firma Nordap neuwertige Lkw bauten. Auf weiteren Fotos sind frühere Lok-Baureihen am noch intakten Ladenburger Bahnhof von 1979, der Mercedes-Benz-Bus der OEG am Marktplatz von 1957 und ein fantastisches Luftbild zu sehen, das 1970 vor der Flurbereinigung entstanden ist. Für ihr eigenes Archiv suchen Löckel und sein Mitarbeiter sowie Wohnungsnachbar Georg Mürb ("Ich bin auch so ein Eisenbahnverrückter") dringend einen trockenen Raum zum Mieten.

WOLFGANG LÖCKEL
Wolfgang Löckel wurde 1953 in Ludwigshafen am Rhein geboren und kam 1967 nach Weinheim, wo er 1972 den Dienst als Bundesbahnassistent-Anwärter aufnahm. Schon seit 1971 ist Löckel auch als Museumseisenbahner vielfältig aktiv, hat u.a. ab 1973 die Bahnwelt Darmstadt-Kranichstein mit aufgebaut und schon öfters historische Züge auch nach Ladenburg gelotst.
Zum 150. Jubiläum "Deutsche Eisenbahn" im Jahr 1985 war der Fachautor als Delegierter in Nürnberg.
Beruflich war er zunächst als Zolldeklarant am Mannheimer Güterbahnhof tätig, bildete sich fort und sah ab 1978 als Zugführer ganz Deutschland. Seine letzte Dienstfahrt war am 2. März 2011 im EC 217 von Saarbrücken nach Graz. Pj

Bildunterschrift
Zu Besuch bei Wolfgang Löckel (Mitte) im Bahnhofsbau von 1846: Der Ex-Eisenbahner überreichte Bürgermeister Rainer Ziegler einen verkehrsgeschichtlichen Bildband, der auch zehn historische Ladenburg- Aufnahmen unter anderem aus der Sammlung von Lore Blänsdorf (r.) enthält.

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