20.12.2011   Mannheimer Morgen - Bergsträßer Anzeiger

Personennahverkehr: Sollbruchstelle in "Mannem uff de Brick"

Protest gegen Verzögerung der S-Bahn

Von unserem Redaktionsmitglied Karl-Heinz Schlitt

Bergstraße. Als hätten wir's geahnt: "Die S-Bahn kommt im Dezember 2015", hatte der BA Anfang März nach einem Ortstermin im Bensheimer Bahnhof getitelt. Die Einschränkung stand aber vorsichtshalber gleich im ersten Satz: "Auf Jahreszahlen ist im öffentlichen Personennahverkehr bisweilen so viel Verlass wie auf die Einhaltung der Fahrpläne" - nämlich keiner.

Prompt platzte gestern die Bombe: Nach den Vorstellungen der DB Netz soll jetzt alles drei Jahre länger dauern. Die Ankündigung, dass sich der zweite Bauabschnitt auf der Main-Neckar- und auf der Riedbahn bis zum Jahr 2018 verzögert, traf nicht nur Landrat Wilkes wie der Blitz. Bei der morgendlichen Sitzung des Verwaltungsrats des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN) formierte sich kollektiver Protest.

"Eine Verschiebung der Inbetriebnahme der S-Bahn ist für uns nicht akzeptabel", bläst Wilkes zur Attacke. Der Landrat will öffentlichen Druck aufbauen, um die Bahn zum Einlenken zu bewegen. Ihre Argumente für eine Verzögerung des Ausbaus der Nord-Süd-Achse auf der Schiene hält der Bergsträßer Behördenchef für fadenscheinig.

Die Sollbruchstelle für die Einhaltung des vertraglich vereinbarten Bauzeitenplans hat die Bahn unter anderem in "Mannem uff de Brick" entdeckt. Die Jazz-Röhre Joy Fleming lässt unfreiwillig grüßen. Ihr Gassenhauer im Kurpfälzer Dialekt bekommt mit einem Mal einen ganz anderen Zungenschlag.

Völlig unabgestimmt hat die DB Netz neue Prioritäten gesetzt. Vorrang vor der S-Bahn auf Bergsträßer Gemarkung soll nun die Reparatur zweier Brückenbauwerke in Mannheim-Friedrichsfeld haben. Zudem rechnet die Bahn statt mit drei jetzt mit fünf Jahren Planungszeit für die S-Bahn.

Wilkes und seine 25 Mitstreiter im VRN-Verwaltungsrat sind nicht bereit, "in diesen sauren Apfel zu beißen". Von der S-Bahn verspricht sich der Landrat einen "Quantensprung für die Region". Deshalb war im Sommer verabredet worden, dass mit dem Winterfahrplan 2015 Nahverkehrszüge im 20-Minuten-Takt in die Bahnhöfe rollen. Dafür greifen der Kreis und die an der Strecke liegenden Städte und Gemeinden tief in ihre eigentlich leeren Taschen, nachdem sich die Kosten für die Infrastruktur der Bahnhöfe verdoppelt haben. Vor allem müssen die Bahnsteige überall auf einer Länge von 210 Metern auf 76 Zentimeter abgesenkt werden.

"Wir pochen auf unseren Vertrag", wehrt sich Wilkes gegen ein - wie er es nennt - "Spiel mit dem Feuer". Denn die sogenannte GVFG-Finanzierung des Bundes läuft zum Jahresende 2019 aus. Das Kürzel steht für ein Wortungetüm: Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Je später die S-Bahn auf der Nord-Süd-Achse abgerechnet wird, umso größer ist das Risiko, dass der Region fest eingeplante Zuschüsse aus Berlin verloren gehen.

Nicht nur deshalb drückt der VRN-Verwaltungsrat aufs Tempo. Die Runde ist sich einig: Die Maßnahme duldet keinen weiteren Aufschub. Die DB Netz soll deshalb bis Anfang nächsten Jahres eine Alternativplanung vorlegen, die sicherstellt, dass das S-Bahn wie geplant Ende 2015 komplett in Betrieb geht. Wilkes gibt sich gewohnt streitbar: "Notfalls muss die Politik in das Räderwerk der Bahn eingreifen." Um ihr Beine zu machen, wird die Vertragslage allein nicht reichen.