25.01.2020
Die Rheinpfalz


Europa in attraktiven Direktzügen erfahren

Kooperationsvertrag zwischen drei Bundesländern und der französischen Region Grand Est unterzeichnet
Von Eckhard Buddruss

Frankenstein. Große Freude über Fortschritte bei einem bisher beispiellosen deutsch-französischen Kooperationsprojekt prägte gestern die Stimmung in der Villa Denis bei Frankenstein im Pfälzerwald, als ein Abkommen von den Projektpartnern aus drei Bundesländern und der französischen Region Grand Est unterzeichnet wurde.

David Valence, für den Verkehr zuständiger Vizepräsident der französischen Region Grand Est, würdigte besonders, dass die Unterzeichnung des Vertrags an einem so symbolischen Ort stattfinde, mit dem an den Pioniergeist des Eisenbahnbaus im 19. Jahrhunderts angeknüpft werde. Die Villa Denis wurde von Paul Camille Denis errichtet, der sowohl die erste Pfälzer Eisenbahn als auch die erste Bahnstrecke zwischen Pfalz und Elsass gebaut hat. Letztere ist nun Teil des Pakets von sieben Linien, auf denen das Zugangebot ab Ende 2024 deutlich attraktiver werden soll.

Laut Valence wird dabei das wöchentliche Platzangebot von derzeit rund 60.000 Plätzen auf rund 230.000 Plätze nahezu vervierfacht. Zu dem Paket gehören die Linien von Neustadt über Landau und Weißenburg nach Straßburg, von Straßburg über Lauterburg nach Wörth (und, soweit möglich, weiter nach Karlsruhe), von Trier nach Metz, von Saarbrücken nach Metz und nach Straßburg, von Straßburg nach Offenburg und von Mulhouse nach Müllheim. Gebraucht werden dafür 30 neue Triebwagen, die für den Einsatz in Deutschland und Frankreich geeignet sind. Das gestern unterzeichnete Abkommen dient unter anderem dem Ziel, die Mehrkosten für die grenzüberschreitend einsetzbaren Fahrzeuge teilweise über EU-Zuschüsse zu finanzieren.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Die Grünen) zeigte sich beeindruckt vom historischen Ambiente der Villa Denis und der guten Erreichbarkeit des Bahnhaltepunkts Frankenstein dank der S-Bahn von Mannheim, mit der er selbst angereist war („direkt und übrigens pünktlich“). Hermann sagte, mit dem „nicht-europäischen Nachbarland“ (der Schweiz) sei die Kooperation beim Thema Bahn bisher einfacher gewesen als mit dem EU-Nachbarn Frankreich. Ein (auch finanzieller) Mehraufwand entstehe unter anderem durch die verschiedenen Stromsysteme. „Aber das muss es uns wert sein“, betonte Hermann. Er wünsche sich allerdings beim grenzüberschreitenden Regionalverkehr ein stärkeres Engagement der Bundesregierung. Seine Saar-Kollegin Anke Rehlinger (SPD) sprach von einem „tollen Projekt für das Saarland“. Das Bahnangebot müsse so attraktiv werden, dass es eine Alternative zum Auto sei. Dies sei nicht zu erreichen, ohne Geld in die Hand zu nehmen,

Brechtel lobt breiten Konsens Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) verwies darauf, dass es noch nie ein Projekt dieser Größe für den grenzüberschreitenden Bahn-Regionalverkehr gegeben habe. Während in Baden-Württemberg und im Saarland die Länder selbst Aufgabenträger für den Nahverkehr sind, spielen in Rheinland-Pfalz die Kreise und Städte eine sehr viel größere Rolle durch ihre Position in den beiden Zweckverbänden in Kaiserslautern und Koblenz. Dreyer nannte es gestern eine „Spezialität“ von Rheinland-Pfalz, dass diese Zweckverbände „sehr erfolgreich“ die Verantwortung für den regionalen Schienenverkehr tragen. Für die Zweckverbände unterzeichneten das Abkommen gestern die Landräte Fritz Brechtel (Germersheim, CDU) und Günther Schartz (Trier-Saarburg, CDU). Schartz dankte besonders Werner Schreiner, dem Beauftragten der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, der einen „riesigen Anteil“ am Gelingen des Projekts habe. Brechtel sprach von einem „großen Schritt in die Zukunft“ und verwies auf den breiten Konsens in seinem Zweckverband, der alle Beschlüsse zu dem Projekt einstimmig gefasst habe. Laut Michael Heilmann, Direktor des Zweckverbands in Kaiserslautern, wird derzeit untersucht, welche Infrastrukturmaßnahmen nötig sind, um die künftigen Züge von Straßburg über Lauterburg nach Wörth weiter nach Karlsruhe zu fahren. Erforderlich sei wahrscheinlich ein zweigleisiges Stück auf dem Abschnitt zwischen Hagenbach und Wörth. Untersucht wird derzeit auch ein Doppelspurabschnitt auf der bisher eingleisigen Strecke von Winden nach Kandel.

Leitartikel: Der Geist der Villa Denis

Von Eckhard Buddruss

Mit der Villa des Eisenbahnpioniers Paul Camille Denis hat die Pfalz ein Juwel, das den optimalen Rahmen für die Besiegelung der deutsch-französischen Bahn-Kooperation bietet. Diese passt zu den Themen Europa und Klimaschutz.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte gestern gleich in mehrerer Hinsicht ein schönes Heimspiel. Ihre Gäste aus den Nachbarbundesländern und der französischen Region Grand Est waren angetan bis hingerissen von dem stilvollen Ambiente in der Villa Denis, die sich hervorragend als Rahmen für eine Veranstaltung zur deutsch-französischen Bahn-Kooperation eignet. Stolz durfte Dreyer auch darauf sein, dass Werner Schreiner, ihr Beauftragter für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aus Frankreich und Deutschland ebenso großes wie verdientes Lob für seine Arbeit an diesem Projekt bekam. In der Tat sind Werner Schreiner auf der deutschen und Evelyne Isinger, die im Grand-Est-Regionalrat mit Verkehrsfragen befasst ist, auf der französischen Seite die Schlüsselfiguren, die hinter den Kulissen in jahrelanger Arbeit das knifflige Kooperationsprojekt vorangebracht haben.

Das gestern in der Villa Denis unterzeichnete Papier ist nicht das erste und nicht das letzte Abkommen eines Vorhabens, von dessen Komplexität sich Außenstehende wohl kaum eine Vorstellung machen können. Bei der anstehenden Ausschreibung des Betriebs, die in Frankreich ein Novum ist, können noch viele Teufel in vielen Details stecken. Dennoch ist das Projekt mit der gestrigen Veranstaltung in der Villa Denis sicher ein entscheidendes Stück vorangekommen.

Zentraler Punkt ist dabei die Bereitschaft, die Mehrkosten zu tragen, die mit der Entwicklung und Beschaffung eines grenzüberschreitend einsetzbaren Fahrzeugs verbunden sind. Es ist das Verdienst des leider schon 2009 verstorbenen elsässischen Regionalratspräsidenten Adrien Zeller, dass es immerhin eine gewisse Anzahl von Dieseltriebwagen mit Leit- und Sicherungstechnik für den Einsatz in Deutschland und Frankreich gibt. Zeller war Kooperationspartner von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) bei der Reaktivierung der Bahnstrecken von Winden nach Weißenburg (1997) und von Wörth nach Lauterburg (2002). Er würdigte bei passender Gelegenheit gern den Vorbildcharakter des Rheinland-Pfalz-Takts für die in Frankreich bald als beispielhaft geltende elsässische Bahnpolitik. Die in seiner Zeit beschafften Triebwagen sind noch im Einsatz, ihre Anzahl und Kapazität genügen aber angesichts gestiegener Fahrgastzahlen den Anforderungen nicht mehr.

Als des Betrieb des Südpfalz-Netzes ab Ende 2010 ausgeschrieben wurde, scheiterten Bemühungen um die Beschaffung frankreichtauglicher Fahrzeuge an der Mittelknappheit nach der 2006 beschlossenen Kürzung der Regionalisierungsmittel. Dass der jüngste Anlauf nun erfolgreicher ist, erklärt sich auch durch eine Kombination glücklicher Umstände. In Rheinland-Pfalz liegt das Thema nicht nur Ministerpräsidentin Malu Dreyer am Herzen, sondern auch die Spitze des FDP-geführten Verkehrsministeriums ist sehr wohlwollend. Es ist ein Glücksfall, dass sowohl Minister Volker Wissing als auch der für den Verkehr zuständige Staatssekretär Andy Becht aus der Südpfalz kommen, wo die Sensibilität für die Bedeutung der deutsch-französischen Kooperation größer ist als etwa im Westerwald. Eine wichtige Rolle spielt sicher auch, dass das Thema Schienenverkehr durch die Klimaschutzdiskussion enorm aufgewertet worden ist. Rückenwind gab es zudem durch den deutsch-französischen Vertrag von Aachen. Gesucht sind mehr denn je Themen, bei denen Europa sich im Alltag positiv bemerkbar macht. Das ist sicherlich bei kaum einem Projekt so stark der Fall wie bei der gestern besiegelten Kooperation im deutsch-französischen Bahnverkehr.


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