01.06.2019
Die Rheinpfalz

Auftakt zur Bahn-Renaissance

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Der Fahrplanwechsel vor 25 Jahren machte Rheinland-Pfalz auf einen Schlag zum bundesweit beachteten Pionier beim Aufbau eines integralen Taktfahrplans. Zentrale Figuren waren dabei ein FDP-Minister, ein SPD-Landrat und ein Lehrer, der Probleme löste, ohne dafür zuständig zu sein.
Von Eckhard Buddruss

Der Fahrplanwechsel Ende Mai 1994 war der erste für die zum Jahresanfang gegründete Deutsche Bahn AG. Erst Anfang 1996 wurden die Bundesländer für den regionalen Schienenverkehr zuständig. In dieser Übergangsphase tat sich zunächst einmal wenig – außer in Rheinland-Pfalz. Hier überstürzten sich Ende Mai 1994 die Ereignisse.

Bei der Deutschen Bahn (DB) hatten die Anhänger des integralen Taktfahrplans, der einen Abschied von der jahrzehntelangen Rückzugspolitik bedeutete, mit der Entmachtung ihres Top-Manns Rudolf Göbertshahn Ende 1993 eine verheerende Niederlage erlitten. Sie brauchten nun dringend Verbündete in den Bundesländern und fanden sie vor allem in Rheinland-Pfalz.

Hier hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) eine glückliche Hand bewiesen, als er Karl-Geert Kuchenbecker zum Leiter der Verkehrsabteilung machte. Mit einer für einen Ministerialbeamten ungewöhnlichen Dynamik trieb Kuchenbecker das Projekt integraler Taktfahrplan voran. Kooperationswillige Partner fand er vor allem im Landkreis Bad Dürkheim und besonders in seinem Landrat Georg Kalbfuß (SPD). Der Kreis Bad Dürkheim hatte schon Routine im Engagement für seine Bahnstrecken.

Kalbfuß und Schreiner ein Team Ein eingespieltes Team waren vor allem Landrat Kalbfuß und der Neustadter Bahnexperte Werner Schreiner. Schreiner, von Beruf eigentlich Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, machte sein zunächst ehrenamtliches Engagement für den Schienenverkehr in diversen Etappen zum Hauptberuf. Schreiner wurde vom Land als Berater für den Aufbau des Rheinland-Pfalz-Takts engagiert. Aufgrund seiner exzellenten Fach- und Ortskenntnis fand er originelle Lösungen für Probleme, an denen sich andere wohl die Zähne ausgebissen hätten. So rückte die von der DB noch kurz zuvor für undurchführbar erklärte Reaktivierung der Eisenberger Strecke schon Ende Mai 1994 plötzlich in greifbare Nähe. Noch bis kurz vor Schluss wurde bei der DB aber die Entschlossenheit von Brüderle und Kuchenbecker unterschätzt, dieses Projekt termingerecht umzusetzen. Erst ein Telefonat von Brüderle mit einem DB-Vorstandsmitglied am Morgen des 26. Mai brachte die definitive Entscheidung.

Blamierte Bahn lobt Kommunen Als am 26. Mai kurz vor Abfahrt des Eröffnungssonderzuges in Eisenberg der Vertrag über die Streckenreaktivierung unterzeichnet wurde, ging der damalige DB-Personenverkehrschef Heinz Neuhaus öffentlich in Sack und Asche. Er räumte ein, dass die Bahn „nicht die schnellste in dem Spurt“ gewesen sei, der zur termingerechten Reaktivierung der Strecke nötig war und fügte an die Adresse der maßgeblich beteiligten Kommunalpolitiker an: „Ganz, ganz herzlichen Dank und Bravo den Vertretern der hiesigen Kommunen, die sich durch nichts, auch nicht durch die anfangs zögernde Bahn haben entmutigen lassen.“

Die Reaktivierung der Strecke nach Eisenberg war ein entscheidender Durchbruch. Innerhalb kurzer Zeit folgten vier weitere Streckenreaktivierungen: Im Mai 1995 Eisenberg–Ramsen und Grünstadt–Monsheim, im September 1995 Winden–Bad Bergzabern und im März 1997 die Strecke von Winden ins elsässische Weißenburg. In allen Fällen beteiligten sich Kreise und Kommunen an den Kosten.

Die hervorragende Zusammenarbeit von Land und Landkreisen (mit Landräten von SPD und CDU) waren der Kontext für ein Nahverkehrsgesetz, das den Gebietskörperschaften eine bedeutende Mitwirkung einräumte. In den beiden Zweckverbänden, die ab 1996 für die Bestellung des regionalen Schienenverkehr zuständig sind, dominieren Landkreise und kreisfreie Städte, das Land hat wie sie in der Zweckverbandsversammlung nur eine Stimme. Der für den Südteil zuständige Zweckverband hat seinen Sitz in Kaiserslautern. Erster Verbandsvorsteher war der Dürkheimer Landrat Georg Kalbfuß (SPD), auf ihn folgten Winfried Hirschberger (SPD, Kreis Kusel) und der heutige Vorsteher Fritz Brechtel (CDU, Kreis Germersheim). Das massiv verbesserte Zugangebot durch den Rheinland-Pfalz-Takt hat zu einem enormen Anstieg der Fahrgastzahlen geführt. Das starke Gewicht der Landkreise im Zweckverband gilt dabei als Garant dafür, dass nicht nur Ballungszentren, sondern auch Flächenkreise vom besseren Zugangebot profitieren.