02.10.2018
Frankfurter Rundschau

Die Bahn ist benachteiligt

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Warum muss die Bahn eigentlich Gewinne machen? Es wäre viel sinnvoller, ihren Erfolg an ganz anderen Kriterien zu messen. Die Gastwirtschaft.
Von Wolfgang Kessler

Als „furchterregend“ bezeichnete der Chef der Deutschen Bahn, Richard Lutz, in einem Brief an die Mitarbeiter die Lage des Unternehmens. Zu Recht: Die Schulden wachsen, die Gewinne sinken – obwohl die Zahl der Fahrgäste steigt. Nur 70 von 100 Zügen sind pünktlich. Doch so ehrlich der Brief ist, er richtet sich an die falsche Adresse. Die richtige wäre die Politik.

Sie lässt den Zug seit 1994 in die falsche Richtung fahren. Vor 24 Jahren wurde die Deutsche Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Seitdem wird der Erfolg der Deutsche Bahn AG am Gewinn gemessen. Um diesen zu steigern, wurde Personal eingespart, das Rollmaterial ist knapp. Es gibt nicht genug Personalreserven. Viele Züge fallen aus. Investiert wurde vor allem in lukrative Schnellbahn-Verbindungen wie jene zwischen Köln und Frankfurt oder zwischen München und Berlin.

Inzwischen wird zwar wieder mehr in die Bahn investiert, davon zeugen derzeit 800 Baustellen. Im europäischen Vergleich sind die Investitionen aber immer noch gering: 2017 steckte Deutschland rund 69 Euro pro Einwohner in die Bahn, 20 Euro mehr als vor vier Jahren. Bedenkt man jedoch, dass in der Schweiz 350 Euro pro Einwohner in die Bahn fließen, in Österreich 190, in Schweden 180, in Italien und Großbritannien mehr als 120 Euro – dann zeigt dies den Rückstand der Deutschen.

Erfolg der Deutschen Bahn anders messen

Auch steuerlich ist die Bahn benachteiligt: Flugbenzin ist steuerfrei – im Gegensatz zu Strom und Diesel. Pendler, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, können für jeden Kilometer 30 Cent von der Steuer absetzen – das können bis zu 10 000 Euro werden. Bei Bahnfahrten ist die Pendlerpauschale auf 4500 Euro gedeckelt.

Solange aber einer der umweltverträglichsten Verkehrsträger steuerlich benachteiligt wird und weit mehr Geld in den Straßenverkehr fließt als in die Bahn, kann diese nicht aus der Krise fahren.

Zudem stellt sich eine grundlegende Frage: Warum muss die Bahn Gewinne machen? Wäre es in Zeiten von drohenden Fahrverboten, Verkehrsstaus, schlechter Luft und hehren Klimazielen nicht viel sinnvoller, den Erfolg der Bahn ganz anders zu messen: nämlich daran, ob es ihr gelingt, jeden Tag mehr Menschen mit möglichst geringem Energieverbrauch pünktlich an ihr Ziel zu bringen.

Wolfgang Kessler ist Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum.