11.11.2017
Die Rheinpfalz

Zwei Her(r)männer für Bahn-Elektrifizierung

Die Verkehrsminister von Baden-Württemberg und Bayern plädieren für Investitionen ins Schienennetz
Von Eckhard Buddruss

München/Stuttgart. In der Diskussion um Elektromobilität bilden sich unübliche Allianzen, die für das Programm einer Jamaika-Koalition im Bund relevant werden könnten. Einig beim Thema Bahn-Elektrifizierung sind sich die Verkehrsminister von Bayern und Baden-Württemberg, die beide Her(r)mann heißen, parteipolitisch allerdings nicht auf einer Linie liegen: Joachim Herrmann gehört der CSU an, Winfried Hermann den Grünen.

Rheinland-Pfalz liegt beim Elektrifizierungsanteil seines Schienennetzes mit 42 Prozent hinter Bayern mit 51 Prozent und Baden-Württemberg mit 63 Prozent (siehe Grafik). Dass der Nachholbedarf bei diesem Thema für die Landesregierungen in Stuttgart und München dennoch eine deutlich größere Rolle spielt als für die in Mainz, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass es in den beiden südlichsten Bundesländern sogar noch wichtige Hauptstrecken mit teilweise starkem Güterverkehr gibt, die immer noch nicht elektrifiziert sind. Der eklatanteste Fall ist wohl die Strecke von München nach Mühldorf, über die sowohl große Pendlerströme nach München als auch der Güterverkehr ins bayerische Chemiedreieck um Burghausen laufen. In Baden-Württemberg lenkte im vergangenen Sommer die Unterbrechung der Rheintalbahn durch die Havarie an der Tunnelbaustelle bei Rastatt die Aufmerksamkeit darauf, dass wichtige Alternativstrecken wie die von Ulm nach Friedrichshafen nicht elektrifiziert sind.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fordert vom Bund ein klares Elektrifizierungsziel und erinnert an ein entsprechendes Votum der Verkehrsministerkonferenz: „Viele Bahnen fahren schon elektrisch, aber für saubere Luft und den Klimaschutz brauchen wir mehr E-Mobilität. Deshalb haben meine Verkehrsministerkollegen und ich beschlossen, dass mindestens 70 Prozent des deutschen Schienennetzes eine Oberleitung erhalten sollen.“ Hermann nannte als Beispiele für Elektrifizierungen, bei denen das Land Baden-Württemberg sich selbst finanziell engagiert, die Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen und die Hochrheinbahn von Basel in Richtung Bodensee.

Der bayerische Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) betonte die Relevanz des Themas für den Klimaschutz. Die Elektromobilität auf der Schiene müsse für die Energiewende, für die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs und als Beitrag des Verkehrssektors für den Klimaschutz vorangetrieben werden. „Das Gute bei der Bahn ist, dass man das Rad hierfür nicht neu erfinden muss“, stellte Herrmann klar. Dass für viele Strecken „schon allein aus ökonomischer Sicht eine Elektrifizierung der Königsweg für mehr Dekarbonisierung ist, hat der Freistaat erst kürzlich durch ein Gutachten der TU Dresden schwarz auf weiß bestätigt bekommen“, erläuterte der bayerische Verkehrsminister. Als ein Beispiel für wichtige Elektrifizierungsprojekte in Bayern nannte Herrmann „das hochfrequentierte Oberlandnetz in die Alpentäler rund um den Tegernsee“, über das etwa 30 Prozent aller Dieselzüge in den Münchner Stadtbereich kommen. Fotos: dpa

Leitartikel: Die Stromer-Koalition

Von Eckhard Buddruss

Elektromobilität kann eines der eher raren Konsens-Themen einer Jamaika-Koalition werden. Gerade beim Bahnverkehr gibt es viele Gemeinsamkeiten von CSU und Grünen – nicht nur zwischen Herrmann und Hermann.

Die deutsche Klimaschutzpolitik besteht oft aus der Kombination von anspruchsvoller Vorreiterrolle bei internationalen Konferenzen und umweltpolitischen Entscheidungen, die – vorsichtig ausgedrückt – den eigenen Ansprüchen nicht ganz gerecht werden. Derzeit ist es schwierig, weiter so zu verfahren, weil die Verhandlungen über eine künftige Jamaika-Koalition und die internationale Klimakonferenz in Bonn gleichzeitig stattfinden. Es ist ein seltsames Schauspiel, dass sich vor allem die FDP gegen Klimaschutzziele der früheren CDU/FDP-Bundesregierung sträubt und sich fast nur noch die Grünen dafür engagieren, Kanzlerin Angela Merkel eine Riesenblamage zu ersparen. Größter Schwachpunkt der deutschen Klimapolitik ist der Verkehr, der bisher noch überhaupt keinen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen geleistet hat. Große Hoffnungen ruhen auf der Elektromobilität. Elektroautos können sicher dazu beitragen, die Luftqualität in hoch belasteten Städten zu reduzieren, weil sie lokal emissionsfrei fahren. Ihre Umweltbilanz weist aber auch Schwachstellen auf: Die wichtigsten sind der immer noch relativ hohe Kohleanteil bei der deutschen Stromproduktion und der große Aufwand in puncto Energie und Rohstoffe für die Batterieproduktion.

Umso unverständlicher ist, dass bisher kaum etwas dafür getan worden ist, die Elektromobilität dort zu fördern, wo es auch ohne Batterie geht: nämlich auf der Schiene. Für den spurgebundenen Verkehr ist eine Elektrifizierung über Leitungen wesentlich einfacher als bei der Straße, wo sich Oberleitungen für Lkw noch im Versuchsstadium befinden. Immerhin kommt jetzt etwas Bewegung in die Angelegenheit – nicht zuletzt, weil sich zusätzlich zu der globalen CO2-Thematik die Stickoxid-Probleme in manchen Städten so zugespitzt haben, dass Fahrverbote ausgerechnet in den Autoindustrie-Hochburgen Stuttgart und München drohen. Deshalb wird es nun auch für die CSU zu einem großen Thema, dass noch immer viele Dieselzüge in den Münchner Hauptbahnhof kommen. An einem groß angelegten Elektrifizierungsprogramm des Bundes müssten deshalb gerade Grüne und CSU, die sich sonst selten grün sind, ein gemeinsames Interesse haben. Was der bayerische Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) über die verkehrs- und umweltpolitische Bedeutung der Bahn-Elektrifizierung sagt, ist völlig richtig. Schön wäre es, wenn sich die CSU in dieser Frage ebenso engagieren würde wie für die – gelinde gesagt – nicht genauso sinnvolle Ausländer-Pkw-Maut.

In der Pfalz kämen für eine Elektrifizierung außer den bereits in Angriff genommenen S-Bahn-Verlängerungen in die BASF und nach Zweibrücken vor allem die Strecke von Neustadt nach Wörth und die Alsenzbahn in Frage.

Beim Thema Strommix hat der Fernverkehr der Deutschen Bahn (DB) lobenswerte Anstrengungen unternommen, seinen Ökostrom-Anteil auf nun bald 100 Prozent zu steigern. Ganz und gar nicht in dieses positive Bild passt allerdings, dass die beiden Intercity-Züge von Nordrhein-Westfalen über Mannheim nach Oberstdorf und Lindau ab Stuttgart mit zwei rund 40 Jahre alten Dieselloks über die seit Jahrzehnten elektrifizierte Geislinger Steige fahren, um einen Lokwechsel in Ulm zu vermeiden. Dieser kuriose Fall hat Symbolwert dafür, dass unterlassene Elektrifizierungen negative Effekte haben, die oft weit über den Abschnitt hinausreichen, auf dem die Oberleitung fehlt. In vielen Fällen ist die Leitungselektrifizierung eindeutig die beste Lösung und der Einsatz von E-Hybrid-Fahrzeuge, die Strom sowohl aus einem Akku als auch aus der Oberleitung ziehen können, nur die zweitbeste. Auf manchen Strecken kann sich beides allerdings sinnvoll ergänzen.