19.07.2017
Die Rheinpfalz

Neues Interesse an Bahn-Elektrifizierung

Diskussionen um Fahrverbote für Diesel-Pkw und Klimaschutz verschaffen dem Schienenverkehr zusätzliche Bedeutung
Von Eckhard Buddruss

Ludwigshafen. Nachdem lange Zeit in Deutschland allenfalls noch in eher bescheidenem Umfang Bahnstrecken elektrifiziert worden sind, wächst nun angesichts der schlechten Klimabilanz des Verkehrs und drohender Fahrverbote für Diesel-Pkw der Druck, verstärkt in die Elektrifizierung des Bahnverkehrs zu investieren.

„Einen starken Impuls in Richtung Bahn-Elektrifizierung auch außerhalb der gängigen Finanzierungswege“ fordert von der nächsten Bundesregierung die Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs (BAG). Der BAG gehören aus Rheinland-Pfalz die beiden für den regionalen Schienenverkehr zuständigen Zweckverbände mit Sitz in Kaiserslautern und Koblenz an. BAG-Präsident ist Thomas Geyer, der Verbandsdirektor des rheinland-pfälzischen Nord-Zweckverbands in Koblenz. Laut BAG werden derzeit bundesweit rund 240 Millionen Zugkilometer im Dieselbetrieb erbracht, das sind rund 36 Prozent der Gesamtleistung. Wenn diese Züge komplett auf elektrischen Betrieb umgestellt würde, ließen sich laut BAG pro Jahr rund 680.000 Tonnen CO2 einsparen. Geyer betonte, die Aufgabenträger müssten verlässlich wissen, auf welchen Strecken künftig mit einer Oberleitung zu rechnen sei und auf welchen Triebwagen mit alternativen Antrieben die Dieselfahrzeuge ablösen könnten. Wie berichtet, kommen dafür Brennstoffzellenfahrzeuge oder Batterietriebwagen in Frage, von denen es bisher aber allenfalls Prototypen gibt. Als besonders zukunftsträchtig gelten sogenannte E/E-Hybridfahrzeuge, die über eine Batterie verfügen, aber auf elektrifizierten Abschnitten Strom aus der Oberleitung holen. Im nördlichen der rheinland-pfälzischen Zweckverbände werden 60,5 Prozent der Zugkilometer mit Elektrofahrzeugen erbracht, 39,5 Prozent mit Dieseltriebwagen. Im südlichen Zweckverband ist der Diesel-Anteil mit 50,4 Prozent der Zugkilometer sogar etwas größer als der der elektrischen Züge mit 49,6 Prozent. Dies erklärt sich vor allem dadurch, dass es in der Pfalz außer den elektrisch betriebenen Hauptstrecken auch noch ein sehr viel umfangreicheres Netz von mit Dieselfahrzeugen betriebenen Zweigstrecken gibt als im Norden von Rheinland-Pfalz.

Der Begriff „Elektrifizierungsprogramm“ taucht auch im kürzlich von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vorgestellten Masterplan Schienengüterverkehr auf. Welche konkreten Absichten dahinter stecken, ist derzeit allerdings noch nicht erkennbar.

Neuer politischer Druck entsteht über die Klimaschutzaspekte hinaus auch noch durch die immer weitere Kreise ziehende Dieselabgas-Affäre und die in einigen Städten drohenden Fahrverbote für Diesel-Pkw. Bei den Bemühungen, solche Fahrverbote zu vermeiden, gewinnen nun auch die öffentlichen Verkehrsmittel weiter an Bedeutung. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) kündigte gestern als Teil eines Maßnahmenpakets gegen die Stickoxid-Belastung eine massive Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs an.

Mit einer Elektrifizierung von Bahnstrecken ließe sich zum einen in vielen Fällen das Angebot verbessern. Damit würden Anreize zum Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr geschaffen. Zum anderen könnte dadurch auch der Schienenverkehr selbst noch energieeffizienter und umweltfreundlicher werden.

Gerade in München, wo besonders heftig über Fahrverbote für Diesel-Pkw diskutiert wird, wird der Hauptbahnhof noch von vielen Diesel-Zügen angefahren, weil wichtige nach München führende Strecken außerhalb des S-Bahn-Bereichs nicht elektrifiziert sind. Dazu gehört die Strecke von Mühldorf, die ein sehr hohes Aufkommen im Pendlerverkehr hat und außerdem wegen des Chemiedreiecks rund um Burghausen auch sehr wichtig für den Güterverkehr ist.

Eine konkrete Elektrifizierungsperspektive gibt es derzeit nur für die Strecke von Geltendorf über Memmingen nach Lindau, weil hierfür die Schweiz wegen ihrer Bedeutung für die Züge von Zürich nach München eine Vorfinanzierung angeboten hat. Besonders nahe liegend wäre eine Elektrifizierung der Strecken ins bayerische Oberland, weil die Dieseltriebwagen nach Bayrischzell, Lenggries und Tegernsee ein relativ langes Stück bis Holzkirchen auf einer Strecke fahren, die bereits elektrifiziert ist. In Bayern wird wegen der neuen Perspektiven derzeit schon an einer Prioritätenliste für Bahn-Elektrifizierungen gearbeitet.

In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit zwei Elektrifizierungsprojekte. Bei der Strecke in die BASF sind die Bauarbeiten für kommendes Jahr geplant. Ab Ende 2018 sollen die Pendlerzüge von Kaiserslautern, Wörth und Germersheim in die BASF elektrisch fahren. Bisher werden hier noch Dieseltriebwagen eingesetzt, obwohl die Strecken mit Ausnahme des kurzen Stücks zwischen Ludwigshafen Hauptbahnhof und BASF bereits elektrifiziert sind. Außerdem wird die BASF-Strecke ins S-Bahn-Netz integriert. Das zweite Projekt ist die Verlängerung der S-Bahn Rhein-Neckar über Homburg hinaus bis nach Zweibrücken, für die eine heute teilweise stillgelegte Strecke zu elektrifizieren ist. Falls ein bundesweites Sonderprogramm zur Elektrifizierung von Bahnstrecken aufgelegt wird, kommt in der Pfalz dafür wohl vor allem die stark frequentierte Strecke von Neustadt nach Karlsruhe in Frage, die im Abschnitt Wörth–Karlsruhe bereits elektrifiziert ist. Als Regional-Express von Kaiserslautern nach Karlsruhe fahren heute Dieseltriebwagen auf über der Hälfte der Strecke (33 Kilometer von Kaiserslautern nach Neustadt und 14 Kilometer von Wörth nach Karlsruhe) auf elektrifizierten Abschnitten. Die Lücke zwischen Neustadt und Wörth ist 44 Kilometer lang.

Nils erklärt: Nicht alle Züge fahren elektrisch

Euch ist vielleicht schon mal aufgefallen, dass von den vielen Zügen, die zum Beispiel in Neustadt oder in Kaiserslautern abfahren, manche mit Strom fahren, andere dagegen nicht. Elektrisch angetrieben werden zum Beispiel alle S-Bahnen in der Pfalz und alle Fernzüge wie der ICE. Auf den Strecke von Neustadt nach Landau und von Kaiserslautern nach Pirmasens gibt es dagegen keine elektrischen Züge. Die Triebwagen, die dort fahren, haben einen Dieselmotor genauso wie ein Bus oder ein Lkw.

Diese Unterschiede haben einen einfachen Grund. Züge elektrisch zu fahren, ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch deutlich billiger als der Antrieb mit einem Dieselmotor. Das gilt besonders dann, wenn schwere Güterzüge zu befördern sind. Der Bau der Leitungen, die die Züge mit Strom versorgen, ist aber teuer. Eine Elektrifizierung (so nennt man die Ausrüstung einer Strecke mit einer Leitung für Strom) lohnt sich am meisten dort, wo viele Züge fahren. Deshalb wurden zuerst die Strecken mit besonders viel Verkehr elektrifiziert. In der Pfalz waren das die Süd-Nord-Hauptstrecke von Mannheim über Ludwigshafen nach Mainz und die Ost-West-Hauptstrecke von Ludwigshafen über Neustadt und Kaiserslautern nach Saarbrücken. ebu

Kommentar: Unter Strom

Von Eckhard Buddruss Die Probleme mit den Abgasen von Diesel-Pkw könnten den Anstoß zu einem längst überfälligen Bahn-Elektrifizierungsprogramm geben.

Jahrelang glaubte die deutsche Autoindustrie, dass sich das Abgasproblem durch das Pro-Forma-Einhalten von praxisfernen Prüfstandwerten einhalten lässt und die schlechte Luftqualität wegen der realen Autoabgase in vielen deutschen Städten letztlich hingenommen wird, ohne etwas Wirksames dagegen zu tun. Seit sich die Situation aber so zugespitzt hat, dass ausgerechnet in den Autoindustrie-Hochburgen Stuttgart und München Fahrverbote für Pkw drohen, ist die Aufregung groß.

Nun wächst der Druck, etwas zu tun. Politiker wie der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) können von Glück sagen, wenn sie ein laufendes Projekt wie die S-Bahn in die BASF vorzuweisen haben und so betonen können, dass sie lieber den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen als Fahrverbote zu verhängen. In dieser Situation könnten nun endlich Projekte auf der politischen Agenda nach oben rücken, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten in einer Warteschleife festhängen. Dazu gehört die Elektrifizierung wichtiger Bahnstrecken.

Zumindest bei stark befahrenen Strecken ist eine Elektrifizierung mit Oberleitung sinnvoller als der Einsatz von Brennstoffzellen- oder Batteriefahrzeugen, zumal deren Serienreife derzeit noch nicht absehbar ist. Falls endlich ein schon seit längerer Zeit überfälliges bundesweites Elektrifizierungsprogramm aufgelegt werden sollte, hätte allerdings wohl keine der dafür geeigneten Pfälzer Strecken oberste Priorität. Nach München, einem Brennpunkt der Diskussion um Diesel-Pkw-Fahrverbote, fahren noch weit mehr und deutlich schwerere Diesel-Züge als etwa nach Karlsruhe. Besonders vordringlich ist zweifellos die Elektrifizierung der Strecke von München nach Mühldorf.