24.02.2017
Die Rheinpfalz

Deutschland bei Bahn-Elektrifizierung ein Nachzügler

Andere europäische Länder sind deutlich weiter – In der Pfalz stehen nun die Strecken in die BASF und nach Zweibrücken auf der Agenda
Von Eckhard Buddruss

Ludwigshafen. Bei der Elektrifizierung des Eisenbahnverkehrs, die durch das Streben nach mehr Elektromobilität wachsende Bedeutung bekommt, steht Deutschland im europäischen Vergleich nicht gut da. In fast allen Nachbarländern ist der Anteil der elektrifizierten Strecken höher als in Deutschland.

Laut Daten, die der Branchenverband „Allianz pro Schiene“ zusammengestellt hat, liegt unter den wichtigsten Ländern der Europäischen Union (EU) nur in Frankreich der Anteil der elektrifizierten Strecken mit 51 Prozent noch niedriger als in Deutschland mit 60 Prozent. Selbst in Polen ist er mit 62 Prozent etwas höher. Einsamer Spitzenreiter ist das Bahn-Musterland Schweiz mit 100 Prozent elektrischem Betrieb. Sehr hoch ist der Anteil auch in Belgien mit 85 Prozent und in den Niederlanden mit 76 Prozent. Auch Schweden (76 Prozent), Italien (71 Prozent) und Österreich (70 Prozent) liegen deutlich vor Deutschland.Der vergleichsweise niedrige Wert für Deutschland erklärt sich teilweise dadurch, dass – ganz anders als in früheren Jahrzehnten – Streckenelektrifizierungen in Deutschland inzwischen Seltenheitswert haben. Dies liegt nicht zuletzt an der rechnerischen Trennung von Netz und Betrieb. Die positiven Effekte von Elektrifizierungen treten vor allem bei den Unternehmen ein, die Züge fahren. Der Infrastrukturbetreiber, der die Investitionen finanzieren muss (in Deutschland meist DB Netz), hat dagegen nur dann einen Vorteil, wenn nach der Elektrifizierung deutlich mehr Züge fahren als zuvor.

In der Pfalz liegt die letzte große Streckenelektrifizierung, die nicht im Kontext eines S-Bahn– oder Stadtbahnprojekts stand, schon mehr als 50 Jahre zurück. 1964 wurde mit der Elektrifizierung des Abschnitts zwischen Ludwigshafen und Kaiserslautern die Lücke auf der Pfälzer Ost-West-Hauptstrecke von Mannheim nach Saarbrücken geschlossen. Fast vier Jahrzehnte lang gab es mit Ausnahme des kurzen Stücks zwischen Karlsruhe und Wörth überhaupt keine Streckenelektrifizierungen in der Pfalz. Auf dem Abschnitt Schifferstadt–Speyer wurde Ende 2003 der elektrische Betrieb mit dem Start der S-Bahn Rhein-Neckar aufgenommen. Im Zusammenhang mit dem Ausbau der S-Bahn folgten die Abschnitte Speyer–Germersheim Ende 2006 und Germersheim–Graben-Neudorf Ende 2011. Die Strecke von Wörth nach Germersheim wurde bis Ende 2010 wegen der Integration ins Karlsruher Stadtbahnnetz elektrifiziert. Von diesen Elektrifizierungen hat allerdings nicht nur die S-Bahn profitiert, sondern auch der Güterverkehr. Containerzüge von und nach Germersheim können nun elektrisch gefahren werden, während sie früher wegen eines nur relativ kurzen nicht elektrifizierten Stücks südlich von Schifferstadt oder Speyer oft auf dem kompletten Laufweg des Zuges mit Dieselloks bespannt wurden. Ein ähnlicher Effekt ergab sich bei der Regional-Express-Linie von Mainz nach Karlsruhe, die bis Ende 2011 wegen der kurzen Elektrifizierungslücke zwischen Germersheim und Graben-Neudorf mit Dieseltriebwagen gefahren wurde.

Derzeit stehen in der Pfalz zwei Elektrifizierungsprojekte auf der Agenda. Zum einen die Südeinfahrt der BASF, zum anderen die Strecke Homburg–Zweibrücken, bei der von gut 11 Kilometern Strecke, die zu elektrifizieren sind, 7,5 Kilometer noch stillgelegt sind.

Elektrifizierungsprojekte, die längere Streckenabschnitte betreffen, kommen derzeit meist allenfalls äußerst schleppend voran und haben manchmal nur dann Chancen, wenn es unkonventionelle Finanzierungen gibt. Bei der Strecke (München–)Geltendorf–Lindau zahlt die Schweiz mit. Die Elektrifizierung der Strecke von Stuttgart über Friedrichshafen nach Lindau wird vom Land Baden-Württemberg mitfinanziert.

Als besonders dringlich gilt seit Jahren die Elektrifizierung der Strecke von Hof nach Regensburg, die als Teil eines Ost-Korridors eine Alternative zu der überlasteten Nord-Süd-Strecke von Hamburg über Fulda nach Süddeutschland sein könnte. Noch eklatanter ist der Fall der Strecke von München nach Mühldorf, die zentrale Bedeutung für den Anschluss des bayerischen Chemiedreiecks um Burghausen hat und außerdem im Berufsverkehr nach München extrem stark frequentiert ist.

Nils erklärt: Nicht alle Züge fahren mit Strom

Vielleicht ist euch schon mal aufgefallen, dass von den vielen Zügen, die zum Beispiel in Neustadt oder in Kaiserslautern abfahren, manche mit Strom fahren, andere dagegen nicht. Elektrisch fahren zum Beispiel alle S-Bahnen in der Pfalz und alle Fernzüge wie der ICE. Auf den Strecke von Neustadt nach Landau und von Kaiserslautern nach Pirmasens gibt es dagegen keine elektrischen Züge. Die Triebwagen, die dort unterwegs sind, haben einen Dieselmotor genauso wie ein Bus oder ein Lkw. Diese Unterschiede haben einen einfachen Grund. Züge elektrisch zu fahren, ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch deutlich billiger als der Antrieb mit einem Dieselmotor. Das gilt besonders dann, wenn schwere Güterzüge zu befördern sind. Der Bau der Leitungen, die die Züge mit Strom versorgen, ist aber teuer. Eine Elektrifizierung (so nennt man die Ausrüstung einer Strecke mit einer Leitung für Strom) lohnt sich am meisten dort, wo viele Züge fahren. Deshalb wurden zuerst die Strecken mit besonders viel Verkehr elektrifiziert. In der Pfalz waren das die Nord-Süd-Hauptstrecke von Mannheim über Ludwigshafen nach Mainz und die Ost-West-Hauptstrecke von Ludwigshafen über Neustadt und Kaiserslautern nach Saarbrücken. ebu

Kommentar: Die Politik hat eine lange Leitung

Von Eckhard Buddruss

Bei der Begeisterung für die Elektromobilität vergisst die Politik oft gerade den Bereich, wo sie am besten funktioniert: bei der Bahn. Das Thema Elektromobilität ist derzeit in aller Munde. Angesichts der Dringlichkeit, die Klimabilanz des Verkehrs zu verbessern, ist das auch berechtigt. Allerdings gibt es dabei auch Aspekte, die reichlich absurd wirken. Politisch attraktiv scheint das Thema vor allem dort zu sein, wo es technisch kompliziert ist, etwa bei der Entwicklung von Batterien für Elektroautos oder bei der Ausrüstung von Autobahnabschnitten mit einer Oberleitung für Elektro-Lkw.

Selbst beim Schienenverkehr gibt es das Phänomen, dass sich Politiker eher für technologische Lösungen begeistern lassen, die – wie die Brensstoffzelle – innovativ klingen, aber unerprobt sind, als für das, was sich seit Jahrzehnten bewährt hat, nämlich die Elektrifizierung über Leitungen, die im spurgebundenen Verkehr viel einfacher ist als bei der Straße.

Daraus ergibt sich in der Praxis der Effekt, dass falsche politische Prioritäten gesetzt werden und nicht einmal ein für die Standortqualität bedeutender Unternehmen so wichtiges Projekt wie die Elektrifizierung der Bahnstrecke von München ins bayerische Chemiedreieck im eigentlich gebotenen Tempo vorankommt. Stattdessen werden die viel zu knappen Mittel für Projekte wie das Milliardengrab Stuttgart 21 verbraten.


Elektrifizierung: Oberleitung für Güterbahn statt für Lkw

Zum Artikel von Allianz pro Schiene