14.01.2017
Die Rheinpfalz

Reden, reden, reden

... und irgendwann passiert dann was – Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, eine Momentaufnahme
Von Dagmar Gilcher

Nein, in den Zustand vor 1855 werde man wohl nicht mehr zurückfallen, blickt Werner Schreiner nach vorne, in das Jahr 2017. Der Neustadter ist seit Anfang 2014 Beauftragter für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit des Landes Rheinland-Pfalz und als solcher ehrenamtlich im Dauereinsatz, um Grenzen abzubauen. Drei Jahre, in denen in Europa der Ruf nach neuen Grenzen immer lauter wurden. Aber Werner Schreiner vermittelt nicht den Eindruck, als könne ihn das entmutigen, ganz im Gegenteil. Aus dem Dauergetöse der Tagespolitik lohnt hin und wieder ein Blick zurück. Zum Beispiel in jenes Jahr 1855, in dem der französische Präfekt in Straßburg und der bayerische Regierungspräsident in Speyer ein Abkommen schlossen, wonach sie künftig regionale Belange nicht mehr mit den jeweiligen Außenministerien zu verhandeln hätten, sondern vor Ort klären könnten. Oder in das Jahr 1997, in dem zum ersten Mal wieder fahrplanmäßig Züge aus der Pfalz ins Elsass und wieder zurück rollten, auf der Strecke von Winden nach Wissembourg. 30 Jahre später werden sie das – ab 1. Mai – auch wieder von Wörth nach Lauterbourg und an den Wochenenden durchgehend bis Straßburg tun. Beide Male war Schreiner, studierter Historiker und langjähriger Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN), treibende Kraft. Wie man mit bestehenden Grenzen umgehe und nach praktikablen Lösungen für die Menschen vor Ort suche, gelinge seit Jahren auch mit Basel und der Nordwestschweiz, sagt Schreiner. Ein historisches Gedächtnis und ein langer Atem sind, so scheint es, Voraussetzung für Erfolge bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, bei der Fortschritte manchmal so winzig sind, dass sie erst in der zusammenfassenden Rückschau als solche zu erkennen sind.

Aber auch, wenn man mit dem Verkehrsfachmann Schreiner kaum über seine nun nicht mehr ganz so neue Aufgabe als Grenzüberwinder sprechen kann, ohne das Thema öffentlicher Schienennahverkehr zu streifen, so gibt es doch viele andere Bereiche, in denen er tätig wird. Von seinem in der Mainzer Staatskanzlei angesiedelten Büro aus hält er Kontakt zu Wirtschaft- und Finanzministerium, zu Umweltministerium, aber auch zu Kultur- und Bildungsministerium – ebenso wie zu den Ansprechpartnern in Frankreich. Und dort hat sich im vergangenen Jahr mit der Fusion der drei Regionen Alsace, Champagne-Ardenne und Lorraine einiges verändert. Grand Est heißt die neue Region, der neue große französische Nachbar von Rheinland-Pfalz.

An der Spitze steht mit dem Elsässer Philippe Richert ein Mann, der grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein schon lange kennt. Die Verwaltungsstrukturen dort haben sich geändert. Es gibt neue Ansprechpartner. Auch so selbstverständliche Dinge wie das Anlegen von neuen Namens- und E-Mail-Verzeichnissen nimmt Zeit in Anspruch. Nicht nur die Verwaltung der Region, auch die SNCF, die französische Staatsbahn, hat ihre Struktur den neuen Gegebenheiten angepasst.

Wie gut aber, dass auch alte Bekannte geblieben sind, zu denen mittlerweile ein Vertrauensverhältnis besteht und mit denen man weiter arbeitet. Grenzüberschreitend eben. Schreiner berichtet von einem von Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebenen Gutachten, das das Fahrgastpotenzial im grenzüberschreitenden Bahnverkehr bis 2030 ermitteln soll. Erstellt wird es von einem französischen Fachbüro, Egis Rail in Lyon. Und er vermeldet mit gewissem Stolz auch, dass er als rheinland-pfälzischer Vertreter zu Beratungen eingeladen war, die den Ausbau der Strecke von Haguenau nach Weißenburg betrafen. Im Grunde ja eine innerfranzösische Angelegenheit.

Schon wieder ein Bahn-Thema? Ja, aber es hat auch etwas mit einem weiteren wichtigen Kapitel der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu tun: der Bildung und Ausbildung. Auf deutscher Seite suchen Betriebe nach Auszubildenden, auf französischer Seite klagt man über hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wenn bislang am Oberrhein nur 278 Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden, dann liege das häufig an den mangelnden Deutschkenntnissen der jungen Franzosen. Aber es sollen ja mehr werden, und für die häufig noch Minderjähringen müssten auch Transportmöglichkeiten vorhanden sein. Bessere Bahn- und Busverbindungen – wie ein neuer Frühbus von Haguenau nach Wissembourg – dienen also längst nicht mehr nur Ausflüglern und Touristen.

Für bessere Deutschkenntnisse wirbt Schreiner bei der zuständigen französischen Schulverwaltung, dem Rektorat, das seinen Sitz jetzt in Nancy hat. Rheinland-pfälzische Grundschullehrer haben mittlerweile die Möglichkeit, die Wartezeit auf Festanstellung als Deutschlehrer in Frankreich zu überbrücken. Schreiner will diese Option auch für die Sekundarstufe zwei erreichen. Er hält Kontakt zum Biosphärenreservat Pfälzerwald und zu seinem Pendant in den Vogesen. Manchmal ist viel Überzeugungsarbeit nötig. Beispielsweise, wenn es darum geht, die notwendigen Gelder für die grenzüberschreitende Pamina-Volkshochschule zu sichern.

Trotz der neuen großen Region im Osten Frankreichs bleibt, was Schreiner „Gebietskulissen“ nennt, bestehen: die Oberrheinkonferenz und die Großregion mit Metz, Trier, Luxemburg und der Wallonie. Die europäischen Interreg-Programme für diese Regionen laufen bis 2020. Wer sich in grenzüberschreitender Zusammenarbeit engagiert, darf nicht auf kurzfristige Erfolge zielen. Dass es diese hin und wieder gibt und was noch zu tun bleibt, darüber tauschen sich überzeugte Grenzüberschreiter am 27. Januar in Neustadt aus.