04.06.2016
Die Rheinpfalz

Brüderles Dreistigkeit hat sich gelohnt

Der Deutsche Nahverkehrstag ist ein Symbol für die bahnpolitische Vorreiterrolle von Rheinland-Pfalz
Von Eckhard Buddruss

Es gehörte eine gute Portion Dreistigkeit dazu, als der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nicht nur 1995 den ersten Deutschen Nahverkehrstag ausrichtete, sondern 1997 gleich auch noch den zweiten. Seitdem findet die Veranstaltung mit deutschlandweitem Anspruch alle zwei Jahre und immer in Rheinland-Pfalz statt. Der gestern in Koblenz zu Ende gegangene Nahverkehrstag war bereits der elfte. Die Veranstaltung war am Anfang nicht zuletzt ein Symbol für die Pionierrolle, die Rheinland-Pfalz beim Aufbau eines landesweiten integralen Taktfahrplans gespielt hat und die kontinuierliche Fortführung der Veranstaltungsreihe ist heute auch ein Zeichen dafür, dass der Rheinland-Pfalz-Takt in der Landespolitik nach wie vor hohe Priorität genießt.

Der Branchentreff findet bundesweit starke Beachtung. Jürgen Fenske, Präsident des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), sagte in Koblenz, es sei schade, dass es den Nahverkehrstag nur alle zwei Jahre gebe. Der Reiz der Fachtagung liegt nicht zuletzt darin, dass kontroverse Themen keineswegs ausgeblendet werden und es nicht selten ungewöhnliche Töne zu hören gibt. Jörg Sandvoß, der Chef von DB Regio, sagte in Koblenz, das Thema Baustellen im Schienennetz müsse künftig „intensiv anders“ angegangen werden. „Fahrgastschonendes Bauen“ müsse als Kriterium in die Leistungs- und Finanzierungvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und Deutscher Bahn (DB) aufgenommen werden, die DB-Netz-Ersatzinvestitionen regelt. Pikant an den Äußerungen von Sandvoß ist, dass er vor seinem Wechsel auf den DB-Regio-Chefsessel dem Vorstand der Infrastruktursparte DB Netz angehörte, die für die Baustellen verantwortlich ist. „Der Fahrgast findet in der LuFV nicht statt“, beklagte Sandvoß. So wie die Vereinbarung derzeit konstruiert sei, setze sie teilweise falsche Anreize, bei denen Totalsperrungen oft die einfachste Lösung seien.

Sandvoß genießt hohes Ansehen selbst bei DB-Kritikern. Dass er DB Netz verlassen hat, wird von Branchenkennern bedauert. Auf dem Nahverkehrstag 2010 in Ludwigshafen hatte Sandvoß als erster prominenter DB-Manager öffentlich gefordert, dass Investitionen auf der Grundlage eines Fahrplankonzepts erfolgen sollten, wie dies seit Jahren erfolgreich in der Schweiz praktiziert wird. In dieser Hinsicht hat sich seit 2010 wohl nicht zuletzt dank Sandvoß viel bewegt. Allerdings werden die Auswirkungen erst mittelfristig zu spüren sein, weil bei den meisten Projekten, die im Bau sind oder, wie etwa die ICE-Strecke Nürnberg–Erfurt, vor der Inbetriebnahme stehen, das Thema Fahrplan noch keine Rolle gespielt hat.

Dass Investitionen ins Schienennetz – wie in der Schweiz – fahrplanbasiert geplant werden, ist ein zentrales Element im Konzept für einen „Deutschland-Takt“, der die integralen Taktfahrpläne von Bundesländern wie Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern zu einem landesweiten System verbinden soll, wie es in der Schweiz existiert. Immer wieder wurde auf dem Nahverkehrstag in Koblenz konstatiert, dass der Deutschland-Takt nun keine Außenseiterforderung mehr sei, sondern mittlerweile „Mainstream“. Die entscheidende, weiter ungeklärte Frage ist allerdings, ob der Bund bereit ist, für den Fernverkehr die Aufgabenträgerschaft so zu übernehmen wie die Länder dies beim Nahverkehr tun.

Andy Becht (FDP) aus Bellheim (Kreis Germersheim), der als frischgebackener Staatssekretär im Mainzer Wirtschaftsministerium bei dem Nahverkehrstag die rheinland-pfälzische Landesregierung vertrat, verwies auf den von Rheinland-Pfalz vorbereiteten Entwurf für ein Fernverkehrsgesetz. Hieraus könne sich ein Plan für einen „allseits gewünschten Deutschland-Takt“ ergeben. Becht, der, obwohl erst kurz im Amt, bei seinem Auftritt in Koblenz sehr gut präpariert wirkte, nutzte die Gelegenheit, beim Thema Rheinland-Pfalz-Takt Kontinuität und breiten politischen Konsens im Land zu betonen. Er würdigte sowohl die Pionierarbeit der FDP-Minister Rainer Brüderle und Hans-Artur Bauckhage beim Aufbau des Taktsystems als auch die Weiterentwicklung durch das Konzept „Rheinland-Pfalz-Takt 2015“, das unter Wirtschaftsminister Hendrik Hering (SPD) entwickelt und größtenteils in der Zeit der rot-grünen Koalition umgesetzt wurde.

Der Rheinland-Pfalz-Takt ist eines der eher raren Themen, bei denen die sozial-liberale und die rot-grüne Politik nahtlos zusammenpassen und die deshalb geeignet sind, in der Vernunftehe Ampelkoalition ein Mindestmaß an Harmonie zu stiften.

Beim wichtigsten Pfälzer Bahnthema in dem Ampel-Koalitionsvertrag, der Verlängerung der S-Bahn Rhein-Neckar nach Zweibrücken, zeichnen sich endlich weitere Fortschritte ab. Inzwischen hat laut Werner Schreiner, S-Bahn-Projektleiter beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN), die DB den Entwurf für den Vertrag über die anstehende Entwurfs- und Genehmigungsplanung vorgelegt. Der Vertrag werde derzeit beim VRN geprüft.