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16.01.2016
Die Rheinpfalz

Tourismus ist mehr als Folklore

Seit 25 Jahren gibt es die grenzüberschreitende Touristikgemeinschaft Vis-à-Vis
Von Willy Storck

„Wir müssen im Elsass noch besser verstehen, dass Tourismus mit Ökonomie zu tun hat und eben mehr als nur Folklore ist“, erklärt Stéphanie Kochert eindringlich. Die 40-jährige Bürgermeisterin des kleinen elsässischen Dorfes Climbach wird als neue Präsidentin der Touristikgemeinschaft Baden-Elsass-Pfalz e.V. künftig Gelegenheit haben, etwas dafür zu tun. Der 1990 gegründete und auch unter „Vis-à-Vis“ bekannte grenzüberschreitende Verein ist für Kochert zwar ein neues Betätigungsfeld, politisch unerfahren ist sie aber nicht. Seit 2009 ist sie Maire in Climbach, aktuell zudem Vizepräsidentin der Communauté des Communes du Pays de Wissembourg und dort unter anderem für Tourismus zuständig.Ihr Vorgänger, der sich nun Ehrenpräsident nennen darf, hinterlässt große Fußstapfen: Pierre Bertrand (68) gehörte zu den Gründungsvätern von „Vis-à-Vis“ und stand seit 1996 an der Spitze des Vereins. Mit Bertrand, der von 1989 bis 2008 Maire von Wissembourg war, hat Kochert schon seit vier Jahren als dessen Stellvertreterin im Generalrat für den Kanton zusammengearbeitet und 2015 im nun größer gewordenen Kanton den Sitz endgültig übernommen.

Die Touristikgemeinschaft, deren Gebiet den Pamina-Raum abdeckt und damit auch Teile der Südwestpfalz mit einschließt, darf man zu den gar nicht so vielen gelungenen grenzüberschreitenden Initiativen im heutigen Eurodistrict Pamina zählen. Zu den aktuell 77 Mitgliedern gehören Städte, Gemeinden und Landkreise (direkt oder über ihre Tourismusbüros oder Kurverwaltungen), andere Gebietskörperschaften und Tourismusverbände, aber auch Hotels, der Pamina-Rheinpark, das Kakteenland in Steinfeld, die Straußenfarm Mhou in Rülzheim oder die Internationale Karlshochschule in Karlsruhe. Die Geschäftsführung liegt in den Händen von Gerd Hager, Direktor des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein in Karlsruhe, das Tagesgeschäft besorgt das von Françoise Geyer geleitete „Informationsbüro Vis-à-Vis“ im Alten Zollhaus in Lauterbourg, dem Sitz des Eurodistricts.

Unter das Dach des Regionalverbandes ist der Verein – als eigenständige Einheit – vor gut sieben Jahren geschlüpft. Das war nicht nur aus Pierre Bertrands Sicht unerlässlich. Ohne diesen Schritt, ist er überzeugt, würde es Vis-à-Vis heute nicht mehr geben. „Diese Art der Arbeit unter fachlicher Begleitung erlaubt es uns, so bodenständig wie möglich zu bleiben“, sagt er. Andernfalls hätte der Eurodistrict das selbst leisten müssen, „denn Tourismus ist ja Teil der Wirtschaft“. Man nennt das heute wohl „Win-Win-Situation“.

Die Aufgaben und die Ziele haben sich über die Jahre im Grundsatz gar nicht so sehr verändert. Nach innen versteht sich Vis-à-Vis als Netzwerk und Kontaktplattform: Es geht darum, Kontakte zu ermöglichen und zu vermitteln, gemeinsames Bewusstsein zu fördern, Tagungen und Schulungen für die Mitglieder zu organisieren, Projekte zu entwickeln und zu begleiten. Nach außen wirken etwa die jährlichen Veranstaltungskalender und die Wander- und Radwanderkarten. Letztere wurde gerade überarbeitet und neu aufgelegt, die Gesamtauflage stieg auf 365.000 Exemplare. Auch die „Tour de Pamina“, eine durchaus ambitionierte Drei-Etappen-Radtour mit wechselnden Routen durch das Pamina-Gebiet, kann schon als Klassiker gelten: Die nächste findet vom 1. bis 3. Juli statt. Hinzu kommen Auftritte bei Tourismus- und Verbrauchermessen sowie sonstigen Veranstaltungen.

Die unterschiedliche Organisation des Tourismus in Deutschland und Frankreich konnte da schon mal hinderlich sein. Denn gerade in kleinen französischen Gemeinden wird Tourismusarbeit nicht immer professionell betrieben. Das soll sich, wie Stéphanie Kochert betont, ändern: Bis spätestens 2017 solle die Tourismussparte von den einzelnen Gemeinden auf die jeweilige Verbandsgemeinde (Communauté) übertragen werden. Auch wenn man erst sehen müsse, wie sich das entwickelt, könne Vis-à-Vis da eine wichtige Vernetzungsfunktion übernehmen.

Mit einigem Interesse, aber ohne Illusionen sehen der ehemalige Präsident und seine Nachfolgerin der neuen Großregion entgegen. Bertrand: „Es war bisher schon kompliziert, mit der Région Alsace ein Projekt aufzubauen. Jetzt reicht die Regionalverwaltung von Mulhouse bis Reims. Und mehr Geld wird es gewiss nicht geben.“ Er erinnert sich fast wehmütig: „Mit der Grenze war das früher ja auch nicht so einfach. Aber es gab eben Pioniere wie die Landräte Gerhard Weber in Landau oder Joachim Stöckle in Germersheim.“ Nicht zuletzt durch gute persönliche Kontakte habe etwa im Fall von Wissembourg und Südpfälzer Gemeinden eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Wasserversorgung realisiert oder die Bahn zwischen Landau und Wissembourg wieder aufs Gleis gesetzt werden können.

Heute sei das alles „so kompliziert, so administrativ“ geworden. Durch diverse neue Planungs- und Verwaltungsebenen sei alles viel schwieriger „und alle sind bei Entscheidungen viel vorsichtiger“. Fazit: Immer mehr Bürokratie bis hinauf zur EU.

Stéphanie Kochert blickt naturgemäß nach vorne. Ihre erste Feststellung: „Wir müssen uns in unserem Gebiet und auch unter uns selbst noch viel bekannter machen.“ Auch möchte sie die Zusammenarbeit mit der badischen Seite und insbesondere Karlsruhe intensivieren. Auch sollen in den kommenden fünf Jahren Kleinprojekte in Kooperation mit touristischen Akteuren vor Ort erarbeitet werden, die von der EU über das Interreg-Programm gefördert werden können. Nicht zuletzt müsse das Internet stärker einbezogen werden. Ideal fände Kochert auch einen Internet-Auftritt für das gesamte Vis-à-Vis-Gebiet, möglichst auch noch zu den einzelnen Mitgliedern verlinkt. Doch das ist eine Personal- und Kostenfrage. Denn bei eineinhalb Stellen im Lauterburger Büro wäre das dort nicht zu leisten. Und finanziell sind große Extras auch kaum zu machen.

Die rund 12.000 Euro an Mitgliedsbeiträgen reichen gerade so für die Miete, so Bertrand. Der große Rest des für 2016 auf 145.000 Euro veranschlagten und damit deutlich unter dem Vorjahr liegenden Etats muss aus Zuschüssen und eigenen Erlösen zusammenkommen, wobei die Einnahmen aus der „Tour de Pamina“ besonders wichtig sind. So gesehen ist die grenzüberschreitende Basisarbeit der Tourismusgemeinschaft beachtlich.

So war es doch mehr als Wortgeklingel, als Eurodistrict-Direktor Patrice Harster bei der jüngsten Mitgliederversammlung in Goersdorf feststellte, dass 25 Jahre ein bemerkenswertes geschichtliches Datum für eine solche Organisation und die Arbeit eines ganzen Netzwerkes mit vielen aktiven Mitgliedern seien. Wobei es angesichts der politischen Verwerfungen in Europa (und in gewisser Weise auch im Elsass) fast beschwörend klang, dass Harster weiter sagte, man baue hier jeden Tag an Europa und im Interesse der Menschen müssten die Grenzen auch offen bleiben. Aber das ist doch schon selbstverständlich, oder?