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11.07.2015
Die Rheinpfalz

„Drück drauf, Dicker“

Sonderposten: Wir sind manchmal zu digital
Von Jürgen Eustachi

Die Digitalisierung der Gesellschaft verändert die Welt und öffnet viele Türen. Doch manche bleiben zu, wenn man ihnen digital kommt. Zum Beispiel die der S-Bahnen oder Regionalzüge. Zwei Beobachtungen:Ein junges Paar der Generation Digital Natives – das sind Menschen, die in die Welt der Computer und Smartphones hineingeboren wurden und Wischen über berührungsempfindliche Bildschirme für die wichtigste Handbewegung halten – dieses Paar also will in den Zug einsteigen, den wir ein Stück weiter hinten verlassen haben. Die beiden stehen vor einer geschlossenen Zugtür. Jeder hat ein Smartphone in einer Hand. Das Ding fest im Blick wischt sie über den Touchscreen, während ihr Begleiter kurz aufschaut und versucht, Einlass in den roten Rollwagen zu erlangen. Er wischt über den grün leuchtenden Knopf der Bahntür, locker aus dem Handgelenk. Offenbar hält er ihn für einen der berührungssensiblen Bildschirme, die sein Leben prägen. Die Pforte zum Personenzug bleibt zu. Weiteres Wischen wirkt nicht. Bevor wir Hilfe aus der analogen Welt anbieten können, geht das grüne Licht des vermeintlichen Tür-Touchscreens aus. Der Zug rollt ohne die beiden los. Die schauen verdutzt auf ihre Smartphones. Die Bahn-App wird ihnen sagen, dass der nächste Zug in einer Stunde fährt. Es ist Wochenende. Der Takt ist ausgedünnt.

Ein paar Tage später nach der Arbeit auf dem Heimweg mit dem roten Zug: Bei der Einfahrt in meinen Zielbahnhof stehen drei Digital Natives mit der üblichen smarten Ausrüstung ausstiegsbereit vor mir an der Tür mit dem Knopf. Der Zug hält. Der Knopf leuchtet grün. Ein Mitglied des Trios wischt darüber. Ich will hier raus. Noch bevor ich etwas sagen oder tun kann, schreit ein Kumpel des Wischers diesem ins Ohr: „Drück drauf, Dicker“. Das wirkt. Zum Glück war der Digital Native am Türknopf nicht auch noch Mitglied der Generation Kopfhörer.


Zum Vergleich heute ein Artikel aus dem Tagesanzeiger Zürich:

Per Rollband in den Zug

Der öffentliche Verkehr muss sich auf die steigende Zahl älterer Menschen einstellen. Geprüft werden längere Umsteigezeiten und bessere Orientierungshilfen in Bahnhöfen.

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