03.04.2013
Die Rheinpfalz

Auf Knopfdruck mobil

Älter werden in der Region (Teil 10): Zweibrücker FH-Professor hat ein Mobilitätskonzept entwickelt – Eigenes Auto entbehrlich
Von Michael Böhm

Zweibrücken im Frühjahr 2014: Die 86-jährige Elfriede S. hat einen Arzttermin in Pirmasens. Sie greift zu einem seniorentauglichen Computer, drückt drei Knöpfe und hat die Wahl: Entweder nimmt sie den Zug in die Nachbarstadt, einen Linienbus mit Haltestelle in der Nähe oder sie lässt sich von einem privaten Autofahrer abholen. Der hat ein Angebot in das System von „Call Car“ gestellt, weil er am nächsten Tag fahren und Beifahrer mitnehmen will. Elfriede S. entscheidet sich für das private Auto.Diese Szene ist Zukunftsmusik, allerdings keine besonders neue. Bereits 1999 hat der Zweibrücker Informatik-Professor Hans-Jürgen Steffens das System „Call Car“, auf Deutsch „Ruf-Auto“, entwickelt. Und gemeinsam mit seinen Studenten so weit verfeinert, dass es praktisch angewandt werden könnte. Für das Projekt hat Steffens damals einen Preis im „Zukunftswettbewerb Rheinland-Pfalz“ gewonnen und sich an einem ähnlichen Wettbewerb der Deutschen Telekom beteiligt. Die Zustimmung und das Lob waren groß, umgesetzt wurde „Call Car“ bis heute nicht.Dabei ist Mobilität ein wichtiges Thema in einer alternden Gesellschaft. Viele Menschen fahren so lange mit dem Auto, wie es geht. Sie haben wenige Alternativen, um ihr Leben zu organisieren: Vom Einkauf im Supermarkt über den Arztbesuch bis zum Treffen mit Freunden und Verwandten ist unser Leben sehr auf das Auto zugeschnitten. Wenn es damit eines Tages nicht mehr geht, ist die Ratlosigkeit groß. Von den rasant steigenden Kosten, die ein Auto verursacht, ganz zu schweigen. Ohne Auto heißt es oft: daheimbleiben oder in die Innenstadt oder ein Heim ziehen.

„Der öffentliche Nahverkehr kann diese Lücke nur sehr schlecht füllen“, meint Hans-Jürgen Steffens, der selbst nur ein paar Fußminuten von seinem Arbeitsplatz an der Fachhochschule wohnt. „Denn der Bus fährt im Zweifelsfall dort los, wo ich nicht wohne, und fährt da hin, wo ich nicht hin will. Und die Fußwege, die dadurch notwendig werden, sind gerade für ältere Menschen zu weit.“ Abgesehen davon, dass auch ein gut ausgebautes Busnetz in Zweibrücken nur jede Stunde einen Anschluss bereithält, an Wochenenden sehr viel seltener. „Das erfordert eine umständliche Planung und macht spontane Entscheidungen fast unmöglich“, fügt Steffens hinzu.

Die Verkehrsbranche tüftelt seit Jahren an neuen Angeboten. Vom „Ruftaxi“, das den Bus in ländlichen Regionen ersetzen soll, über Car-Sharing-Modelle bis zum EDV-unterstützten „Car to go“, mit dem der Daimler-Konzern in Ulm startete und inzwischen in einigen Städten in Europa und den USA aktiv ist. Die Kunden bekommen eine elektronisch lesbare Karte, mit der sie Smarts, die irgendwo in der Stadt stehen, benutzen können. Abgerechnet wird nach Kilometern. Die Zentrale kennt den Standort jedes Smarts. Die Autos können auch per Internet gebucht werden. „Car to go“ hat bereits Nachahmer gefunden, unter anderem bei BMW und Opel.

Hans-Jürgen Steffens und seine Studenten haben dieses Modell nicht nur vorweggenommen, sondern sogar erweitert: „Wir wollten auch die Besitzer von Privatautos einbeziehen, die sich Sitzplätze und Kosten für die Fahrt mit anderen teilen wollen“, erläutert der Systemanalytiker. Das geht so: Wer zum Beispiel am nächsten Tag eine Fahrt mit seinem Auto plant, gibt die Information in ein EDV-System ein. Mit Zeiten, Abfahrts- und Zielort, vielleicht ergänzt um den Hinweis, dass er kleine Umwege in Kauf nimmt. Die Daten werden in einem Rechner erfasst, auf den Interessenten zugreifen können. „Das Ganze ist ein Makler-System, mit dem Angebot und Nachfrage zusammengebracht werden – ähnlich wie an einer Börse,“ erklärt Steffens.

Als die Mathematiker von der FH Zweibrücken das System ersannen, gab es noch keine Apps, also einfache Programme, die mit einem Knopfdruck auf eine Datenbank zugreifen können. „Heute könnte man eine solche Mobilitätsplattform praktisch als Uhr am Handgelenk tragen,“ sagt Steffens. Und auch die Kosten für den Service sind gesunken: „Für Zweibrücken und das Umland dürfte die Einrichtung einer solchen Plattform nicht mehr als einen kleinen sechsstelligen Betrag ausmachen.“ Steffens verweist auf die Modellversuche anderer Städte und Regionen, in denen der Staat solche Experimente fördert.

Für Zweibrücken sieht Hans-Jürgen Steffens zumindest ein Argument, das für neue Wege in Sachen Mobilität spricht. „Da ist zum einen die steigende Zahl älterer Menschen, die hier leben. Da sind aber auch die rund 2500 Studenten der Fachhochschule, die mobil sein müssen und im Umgang mit Computern sehr vertraut sind. Das wäre ein harter Kern von Interessenten, auf den man aufbauen könnte.“ Bislang fahre der überwiegende Teil seiner Schützlinge mit dem privaten Auto auf den Campus. „Im Frühjahr 2014 feiert unsere Call-Car-Entwicklung ihren 15. Geburtstag, vielleicht ist dann die Zeit für seine Umsetzung reif,“ sagt der Informatiker Steffens.