25.09.2012      
Saarbrücker Zeitung

Ein stummer Zeitzeuge

Unsere Bahnhöfe - SZ-Serie
Als der Heusweiler Bahnhof 1911 eröffnet wurde, brachte er viel Leben in den Ort

Der Bahnhof in Heusweiler hat in seiner über 100-jährigen Geschichte vieles erlebt, vom Bombeneinschlag bis zum Hochwasser. 1985 fuhr dort der letzte Zug ab, genutzt wird der Bahnhof aber noch immer.
Von SZ-Mitarbeiter Fred Kiefer Heusweiler. Als der Heusweiler Bahnhof im Jahr 1911 mit der Eisenbahnstrecke von Völklingen nach Lebach fertiggestellt wurde, war er der Stolz des Ortes. Der Marktflecken bekam nämlich mit der Eisenbahn erstmals einen Anschluss an ein überregionales Verkehrsnetz. Damals im schlichten Reichsbahn-Grau angestrichen, wurde der Heusweiler Bahnhof baugleich mit dem in Püttlingen errichtet. Innen befanden sich neben dem Schalterraum und weiteren Funktionsräumen noch ein Wartesaal mit einfachen hölzernen Sitzbänken und einem gusseisernen Ofen. Die Bediensteten der Reichsbahn und später der Bundesbahn sorgten dafür, dass alles nach dem Zeitplan der ein- und abfahrenden Züge ablief. Die ersten Fahrgäste des Tages waren die Bergleute und die Stahlwerker, die zur Grube Viktoria in Püttlingen und zu den Eisenwerken in Völklingen wollten. Sie kamen per Fahrrad oder zu Fuß zum Bahnhof, um den Zug um 4.49 Uhr zu erreichen. In ihren braunen Ledertaschen hatten sie die Thermoskanne mit Kaffee oder Tee und belegte Brote. Viele nutzten die Fahrt, um noch ein kurzes Nickerchen vor Schichtbeginn zu halten. Die nächsten, die am Fahrkartenkontrolleur vorbeigingen, waren die Schüler der höheren Schulen in der Hüttenstadt oder in Saarbrücken. Die Fahrkarte der Bundesbahn über Völklingen in die Landeshauptstadt war damals billiger als die der Saartal Linien.

Könnte der Bahnhof erzählen, wäre er ein einzigartiger Zeitzeuge für 100 Jahre Heusweiler Geschichte. Er würde von der Schrecksekunde berichten, als gegen Ende des letzten großen Krieges eine alliierte Fliegerbombe durch sein Dach schlug und in der Decke über dem Schalterraum stecken blieb – zum Glück ohne zu krepieren, da im Keller zahlreiche Leute Schutz vor dem Angriff gesucht hatten. Weniger Glück hatte die angebaute Stückguthalle, die bei einem weiteren Fliegerangriff zerstört wurde. Der Bahnhof erlebte die unzähligen Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 und später zwischen 1939 und 1945 zur Front mussten, unsicher, ob sie ihre Heimat jemals wiedersehen würden. Er sah, wie unzählige Züge mit Kriegsgerät an ihm vorbeifuhren. Und als hätte der Krieg ihm nicht schon genug Unglück gebracht, musste er an Weihnachten 1946 erneut Schlimmes erleben: Ein Hochwasser nach einer Schneeschmelze und starkem Regen überflutete Schienen und Gebäude und richtete großen Schaden an. Walter Jung, früherer Chef des Heusweiler Ordnungsamtes, hat die Katastrophe hautnah miterlebt, weil er damals mit seiner Familie im Bahnhof wohnte. Sein Vater Friedrich war von 1941 bis 1948 Bahnhofsvorsteher in Heusweiler. Seine wohl beste Zeit erlebte der Bahnhof in den 50er und 60er Jahren, als die meisten Fahrgäste wegen des beginnenden Wirtschaftswunders die Züge voller Zuversicht bestiegen. Nach dem letzten Personenzug im Jahre 1985 hatte das Gebäude als Bahnhof ausgedient – nur die Wohnung wurde noch genutzt. Im Jahr 2001 kam mit der Brunnenapotheke jedoch neues Leben in das zwischenzeitlich von einem Heusweiler Kaufmann grundlegend sanierte historische Gemäuer. Heute betreiben Sabine Trennheuser und Tobias Thiel die Apotheke im alten Bahnhof.

Bildunterschrift Der Bahnhof ist längst eine Apotheke. Von der grauen Fassade ist nichts mehr geblieben. Fotos: akiApothekerin Sabine Trennheuser und ihr Kollege Tobias Thiel.