09.11.2011   Frankfurter Rundschau

ICE: Bahn will Züge seltener putzen

Die Deutsche Bahn verärgert mit einem Pilotprojekt die Gewerkschaft: ICEs sollen künftig seltener gereinigt werden. Die Mitarbeiter fürchten, die Züge seien dann so verdreckt, dass sie kaum noch richtig sauber würden. Der Witz geht um in diesen Wochen in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Ein Spott jagt den anderen – doch keiner kann darüber wirklich lachen. Die Mitglieder der größten deutschen Eisenbahngewerkschaft sind aufgerufen, sich an einer neuen Aktion zu beteiligen. Sie sollen Servicemängel in Zügen, auf Bahnhöfen oder in Reisezentren aufdecken und einschicken. Titel der Kampagne: Dies soll Service sein? Das ist ein Witz!

„Wenn ich Kunden in unsere Züge locken will, muss ich ihnen die Reise so angenehm wie möglich machen. Doch da gibt es noch viele Schwachstellen“, erklärt EVG-Vorstand Reiner Bieck die aktuelle Witz-Kampagne. Viele Reisende klagten vor allem über die mangelnde Sauberkeit, über unpünktliche Züge und schlechten Service. Doch das Bahn-Management scheine auf dem Serviceauge blind zu sein, sagt Bieck. Denn trotz aller Ankündigungen, mehr für die Reisenden tun zu wollen und die vielen Mängel zu beseitigen, seien weitere Einschnitte gerade bei den Dienstleistungen vorgesehen.

Züge seltener reinigen

Unter anderem plant die Deutsche Bahn in ihren Reisezentren bis 2016 einen Abbau von rund 700 Arbeitsplätzen. Die Grundreinigung der ICE-Züge soll künftig seltener erfolgen. Davon könnten 150 weitere Mitarbeiter betroffen sein, befürchtet Bieck. Schließlich erwäge der Konzern auch die Arbeit des Aufsichtspersonals – zum Beispiel auf den Bahnsteigen – auf den Prüfstand zu stellen. „Wenn ich so etwas höre, dann schrillen bei mir sofort die Alarmglocken. „Dann sind in der Folge nämlich meistens weitere Arbeitsplätze gefährdet. “ So vorzugehen, sei aber der falsche Weg. „Wir brauchen nicht weniger Servicepersonal, sondern mehr“, sagt Bieck. Um das den Managern klar zu machen, will die EVG nun mit Hilfe ihrer Mitglieder bei der Deutschen Bahn und ihren Wettbewerbern Service-Schlampereien aufdecken, sammeln und den Bahnchefs auf den Tisch legen. „Die Eisenbahner können nicht nur am besten sehen wo es hakt, sie sind oftmals auch Leidtragende und bekommen den Frust der Kunden als erste ab“, sagt der EVG-Vorstand. Etwa, wenn sich in einem der Reisezentren mal wieder eine lange Schlange gebildet hat: „Dann sind die Kunden zu recht oft ungehalten“, berichtet ein Mitarbeiter. „Wir haben wirklich viel zu tun, denn bei uns konzentriert sich die Dienstleistung quasi: Wir verkaufen Tickets, nehmen Beschwerden an und helfen Kunden, die mit ihrem elektronischen Ticket nicht klar kommen.“ Niemand könne deshalb verstehen, dass ausgerechnet bei dieser wichtigen Arbeit 700 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.

Bei der Bahntochtergesellschaft DB Services herrscht derzeit großer Unmut, weil die ICE-Fernzüge viel seltener grundgereinigt werden sollen. Nach Angaben der Bahn handele es sich vorerst zwar nur um ein Pilotprojekt. Die Mitarbeiter jedoch sind höchst beunruhigt. Nicht nur, weil ihre Jobs auf dem Spiel stehen. „Eine nochmalige Streckung der Grundreinigung von sechs auf zehn Wochen bedeutet, dass die Züge dann derart verschmutzt sind, dass sie kaum noch gründlich gereinigt werden können“, schreibt der Betriebsrat der Service-Sparte an die EVG: „Das heißt, unsere Kunden müssen in Zukunft in Kauf nehmen, dass die Scheiben beispielsweise voll mit fettigen Fingerabdrücken sind.“

Nicht nur Mitarbeiter der Deutschen Bahn haben auf die Service-Kampagne der Gewerkschaft reagiert. Auch den Beschäftigten bei den Privatbahnen „grault es teilweise, wenn ihr Unternehmen in der Öffentlichkeit damit prahlt, sauber und komfortabel zu sein“, schreibt ein Servicemitarbeiter der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft (ODEG): „Die Sitze werden nicht grundgereinigt, ein Missstand auf den wir seit Jahren hinweisen – aber es tut sich nichts. Besonders die Kopfstützen sind stark verschmutzt. Wenn ich privat mit den Zügen meines Arbeitgebers mitfahre, achte ich darauf, mich nicht mit dem Kopf am Sitz anzulehnen, und ich schau mir den Sitz vorher genau an.“ Man könne nicht allein dem Reinigungspersonal die Schuld dafür in die Schuhe schieben, denn die hätten meist viel zu wenig Zeit, die Sachen zu reinigen, die sie reinigen sollen.

Ticketautomaten abgebaut

Ein Eisenbahner aus Waldkirch im Breisgau weist darauf hin, dass auf dem Bahnhof der 20000-Einwohner-Stadt bereits vor zweieinhalb Jahren die Ticketautomaten demontiert wurden. Ein anderer Kollege kritisiert, dass es keine Bockwurst und andere preiswerte Speisen in Fernzügen mehr gebe und oftmals der Nachschub mit Getränken und Speisen auf langen Verbindungen nicht klappt.

Mit diesen und ähnlichen Hinweisen sowie konkreten Verbesserungsvorschlägen füllt sich der Service-Witz- Briefkasten der EVG-allmählich. Bieck wünschte sich indes, dass sich noch viel mehr Mitglieder beteiligen. Im Dezember nämlich will die EVG zuerst DB-Chef Rüdiger Grube das Ergebnis der Kampagne überreichen und mit konkreten Forderungen garnieren. „Und dann sind wir bei den Chefs anderer Bahnen avisiert“, sagt Bieck. Die finden das ganz und gar nicht lustig.

Mehr Kontrolle Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer will die Deutsche Bahn (DB) künftig stärker kontrollieren. Die DB soll nicht mehr allein über Preise für die Nutzung ihres Schienennetzes entscheiden dürfen. Trassenpreise, die das bundeseigene Unternehmen von Wettbewerbern verlangt, seien künftig von der Bundesnetzagentur zu genehmigen, heißt es. Dafür müsse die Bahn ihre Kostenkalkulation den Kontrolleuren offenlegen. Die Deutsche Bahn will ICEs künftig seltener reinigen. Foto: dpa

Bildunterschrift: Rote Mütze – das muss ein Eisenbahner sein. Foto: Bloomberg/ADAM BERRY