26.11.2011   Die Rheinpfalz - Ludwigshafener Rundschau

LEITARTIKEL

Vorrang für Luxus?

Von Eckhard Buddruss

Die Rhein-Neckar-Region hätte von der ICE-Strecke Wendlingen-Ulm erhebliche Vorteile. Dennoch überwiegen die Nachteile durch die falschen Prioritäten, die das Projekt „Stuttgart 21” mit sich bringt. Fehlende Kapazitäten für den Güterverkehr sind ein größeres Problem als relativ langsame ICE.

Morgen stimmen die Baden-Württemberger über das Projekt „Stuttgart 21” ab. Den erhofften Frieden dürfte die Abstimmung aber kaum bringen - nicht zuletzt, weil Befürworter und Gegner sich im langen erbitterten Streit um das Projekt immer mehr angewöhnt haben, nur das zur Kenntnis zu nehmen, was die eigene Position stützt. Auch in der Rhein-Neckar-Region gehen die Meinungen weit auseinander. Bei einer Umfrage im Auftrag des „Mannheimer Morgen” waren in Mannheim 41 Prozent der Befragten gegen „Stuttgart 21”, nur 34 Prozent dafür. Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar unter ihren Unternehmen ergab ein anderes Bild. In der Umfrage befürworteten 74 Prozent der Unternehmen das Projekt, nur 18 Prozent sprachen sich dagegen aus. Bei Großunternehmen betrug die Zustimmungsquote sogar 86 Prozent.

Wird das Projekt umgesetzt, ergibt sich für die Rhein-Neckar-Region vor allem ein großer Vorteil. Die ICEFahrzeit von Mannheim nach München wird knapp eine halbe Stunde kürzer. Weil der schnellste Weg von Köln nach München dann wieder über Stuttgart statt derzeit über Würzburg führt, dürfte es dann deutlich mehr ICEVerbindungen von Mannheim nach München geben als heute.

Allerdings ergibt sich dieser Effekt fast ausschließlich durch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und allenfalls minimal durch den heiß umstrittenen Stuttgarter Tiefbahnhof. Es erweist sich spätestens jetzt als schwerer Fehler, dass der heutige baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Die Grünen) vor gut einem Jahr die von einem breiten Bündnis getragene Position „Nein zu ,Stuttgart 21', aber ja zur Neubaustrecke” verließ und gegen die Neubaustrecke Front machte, obwohl er nur eine reichlich unausgegorene Alternative zu präsentieren hatte.

Damit macht Hermann es nun den Befürworten leichter, so zu tun, als gebe es nur die Alternative „Alles oder nichts”. In einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung” behauptete Bahnchef Rüdiger Grube, dass „es eine Neubautrasse Ulm-Wendlingen ohne ,Stuttgart 21' definitiv nicht geben wird”, und begründete dies unter anderem mit der Behauptung: „Die Neubaustrecke würde bei Wendlingen im Acker ohne Anschluss an den Bahnhof enden.” Wer so redet, braucht sich über „Lügenpack”-Sprechchöre nicht zu wundern.

Die ICE-Strecke Wendlingen-Ulm bringt der Rhein-Neckar-Region Vorteile, aber sie hat dennoch derzeit keine Priorität verdient. Solange Deutschland so wenig in sein Schienennetz investiert wie derzeit und bisher auch künftig geplant, müsste vielmehr mit Vorrang dort investiert werden, wo es Engpässe im Güterverkehr schon gibt oder sie bald drohen. Hohe Priorität verdient hätte vor allem die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim, die - auch wenn dies offiziell anders begründet wird - wohl nicht zuletzt wegen der völlig ungeklärten Finanzierung erst einmal in eine weitere Warteschleife geschickt worden ist. Kapazitätsengpässe auf den wichtigsten Güterverkehrsstrecken sind sicher ein gravierenderes Problem als ein ICE, der gen München über die Geislinger Steige zuckelt.

Vorrang für das Luxusprojekt „Stuttgart 21” bedeutet, dass völlig falsche Prioritäten zu Lasten eigentlich viel wichtigerer Vorhaben gesetzt werden. Diese Problematik scheint leider gerade auch vielen Wirtschaftsvertretern immer noch nicht richtig bewusst zu sein.